Verkehr: Wo Langstock und Gehör nicht helfen

· Bettina Pichlmeier, Bodo Rinas, Melanie Wölwer

Kreuzungen sind eine Herausforderung – besonders für sehbehinderte und blinde Menschen. Der DBSV hat darum in diesem Jahr zum Sehbehindertentag bundesweit zu einer Aktion aufgerufen, um auf gefährliche Kreuzungen hinzuweisen. Gekürt wurde jeweils die „schlimmste Kreuzung“ eines Ortes. Wie und mit welchem Erfolg zeigen die Beispiele aus Regensburg, Königs Wusterhausen und Hamburg.

Auf einem Gehweg: Bodo Rinas (links) und Margrit Richter (2.v.l.) übergeben die plakatgroße Urkunde zur schlimmsten Kreuzung an die Behindertenbeauftragte von Königs Wusterhausen, Friederike Weigelt (mittig). Weitere Beteiligte schauen zu.
"Die schlimmste Kreuzung" in Königs Wusterhausen wird gekürt.  ·  Bild: Stadt Königs Wusterhausen

„Ohne Begleitung hätte ich mich nicht getraut“

Busse, Autos, E-Roller und Fahrräder treffen zusammen. Der Lärmpegel ist hoch, es fehlen akustische Ampeln und Leitstreifen. Das ist die Lage an der Kreuzung Galgenbergstraße, Friedenstraße, Furtmayrstraße in Regensburg. Unsere Bezirksgruppe Oberpfalz des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB) hat diese Kreuzung darum für die Aktion „Die schlimmste Kreuzung“ ausgesucht.

Als Bezirksgruppenleiterin der Oberpfalz habe ich Vertreter der Stadt Regensburg, den Inklusionsbeauftragten und den Verkehrssicherheitsbeauftragten der Regensburger Polizei zum Aktionstag im Juni eingeladen. Auch einige Mitglieder der Bezirksgruppe haben teilgenommen, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Mit Hilfe unserer Reha-Fachkraft wagte es Stadtrat und SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Burger mit Simulationsbrille und Blindenlangstock über die stark befahrene Kreuzung zu gehen. Sein Fazit: „Ohne sehende Begleitung hätte ich mich nicht getraut, die Kreuzung zu überqueren.“ Er meinte, vielen sei nicht bewusst, wie schwierig die Situation für nicht-sehende Menschen ist. Bei Stadtratssitzungen wolle er nun auf die Belange sehbehinderter und blinder Menschen hinweisen, kündigte er an. Seine Aussagen betrachte ich schon als einen Erfolg, da sie von Verständnis zeugen.

Um einen Vergleich zu haben, machten wir uns danach auf den Weg zu einer „gelungenen Kreuzung“ in Regensburg: Sie ist an der Kumpfmühler Straße, Friedenstraße zu finden. Da es dort Leitstreifen und akustische Ampeln gibt, lässt sich diese Kreuzung besser überqueren. Es sind jedoch noch einige Veränderungen erforderlich, zum Beispiel müsste die Lautstärke bei den akustischen Ampeln erhöht werden. Außerdem sind manche Leitstreifen bisher nur bis zur Hälfte einer Straßenseite verlegt.

Die Aktion hat einen Aha-Effekt bewirkt. Der städtische Inklusionsbeauftragte Frank Reinel sagte, er werde sich die Pläne der „gelungenen Kreuzung“ noch einmal genau anschauen.

Bettina Pichlmeier, Leiterin der Bezirksgruppe Oberpfalz des BBSB

Lückenhafte Leitstreifen in Königs Wusterhausen

Schnell war für den Bezirksgruppenvorstand des Blinden- und Sehbehinderten-Verbands Brandenburg (BSVB) klar, dass sich unser Verband an der diesjährigen Aktion zum Sehbehindertentag „Die schlimmste Kreuzung“ beteiligen würde. Auch wenn wir zunächst skeptisch waren, da frühere Eingaben an Entscheider erfolglos geblieben waren.

Wir verständigten uns auf die Kreuzung Brückenstraße, Ecke Gerichtsstraße im Zentrum von Königs Wusterhausen. Es ist eine viel genutzte Kreuzung, die auch Verbandsmitglieder auf dem Arbeitsweg nutzen. Unsere Aktion startete am Sehbehindertentag, dem 6. Juni, um 12 Uhr. Mit dabei waren sowohl Mitglieder der Bezirksgruppe als auch die Behindertenbeauftragte von Königs Wusterhausen, Friederike Weigelt, die Pressesprecherin der Stadt im Auftrag der Bürgermeisterin, der Kreistagsvorsitzende, ein für Prävention zuständiger Polizist, der Fraktionsvorsitzende der Linken des Stadtparlaments sowie eine Reha-Lehrerin der örtlichen Förderschule mit dem Schwerpunkt Sehen.

Die Mängel an der Kreuzung wurden eindrucksvoll aufgezeigt. Die reguläre Ampel ist außer Betrieb. Eine Baustellenampel ist ohne akustisches Signal im Einsatz. Blinde Fußgänger wissen nicht, ob sie die „richtige“ Ampel bedienen. Die Aufmerksamkeitsfelder und Leitstreifen sind lückenhaft.

Am Schluss übergaben wir – ich als Vorsitzender der Bezirksgruppe sowie meine Stellvertreterin Margrit Richter – die vom DBSV bereitgestellte Urkunde an die Stadt. Damit wurde die schlimmste Kreuzung der Stadt „gekürt“.

Der Kreistagsvorsitzende wandte sich sofort an den Leiter des Straßenverkehrsamts und die Stadt an den Kreis. Die Baustellenampel ist inzwischen mit einem akustischen Signal nachgerüstet worden. Die Aufmerksamkeitsfelder und Leitstreifen werden erst später nachgerüstet.

Zwei Radiosender und zwei Zeitungen waren vorab informiert worden und berichteten von der Aktion. Antenne Brandenburg brachte am selben Tag mehrere Beiträge.

Bodo Rinas, Vorsitzender BSVB und der Bezirksgruppe Königs Wusterhausen

Ein älterer Mann in grauer Jacke quert eine Straße, geführt mit einem Blindenführhund. Die Fußgängerampel zeigt grün. Im Hintergrund befindet sich ein Fotogeschäft.
DBSV/A. Peters
Ein Mann fasst an die Unterseite des Ampeltasters und drückt den Signalknopf. Oberhalb des Tasters erscheint rot auf schwarz: „Signal kommt“.
DBSV/A. Peters

Große Medienresonanz in Hamburg

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) hat sich gern an der Aktion des DBSV zum Sehbehindertentag beteiligt und die „schlimmste Kreuzung Hamburgs“ gekürt.

Ausgezeichnet mit dem Negativ-Preis wurde die Kreuzung Grindelallee, Rutschbahn, Bogenstraße in Hamburg Rothenbaum. Sie hat ihn sich durch verschiedene Kriterien „verdient“: Ein Radweg liegt zwischen Gehweg und Straße, sodass blinde und seheingeschränkte Menschen beim Queren der Kreuzung leicht vor ein Fahrrad laufen könnten. Weil es sehr laut ist, sind heranfahrende Radfahrer kaum zu hören, ebenso wenig die Akustikampeln. Die Straßen müssen teilweise diagonal überquert werden – ein Problem für alle, die schlecht oder nicht sehen.

Zur Ansprache der Medien sind überspitzte Formulierungen wie „die schlimmste Kreuzung“ ideal, um deren Aufmerksamkeit zu erregen. In Hamburg sorgte der Titel der Aktion für die nötige Medienresonanz, sodass der BSVH die Möglichkeit hatte zu erklären, dass die ausgewählte Kreuzung exemplarisch für Kreuzungen und Probleme für sehbehinderte und blinde Menschen im Straßenverkehr steht.

Alle großen Medien in Hamburg berichteten über die „schlimmste Kreuzung“, mit dem Hamburger Abendblatt und der Morgenpost zum Beispiel die beiden wichtigsten Print-Tagesmedien, mit Radio Hamburg und NDR 90,3 Radiosender mit einer großen Reichweite. Das Hamburg Journal im NDR und die Nord-Sendung bei RTL strahlten TV-Beiträge aus.

Der NDR berichtete auch auf seinem Instagram-Kanal über das Thema, wodurch es einen Eindruck gab, wie die Öffentlichkeit das Thema aufgenommen hat. Die Kommentare waren tendenziell verständnisvoll. Es zeigte sich, dass in allen Gruppen von Verkehrsteilnehmenden Unzufriedenheit herrscht.

Es ist also noch einiges zu tun, um Lösungen zu finden, Kreuzungen für alle Verkehrsteilnehmenden gleichermaßen sicher nutzbar zu machen. Durch die Auszeichnungen der „schlimmsten Kreuzungen“ konnte der DBSV bundesweit an vielen Orten einen Anstoß dazu geben, an solchen Lösungen zu arbeiten.

Melanie Wölwer, Pressesprecherin des BSVH

Aktion nun zeitlos – Leitfaden bestellbar

Die Aktion „Die schlimmste Kreuzung“ kann nun jederzeit und unabhängig vom Sehbehindertentag veranstaltet werden. Der Leitfaden und die Vorlagen dazu wurden überarbeitet. Vereine und Organisationen, die am Beispiel einer „schlimmen Kreuzung“ die Probleme sehbehinderter und blinder Menschen im Straßenverkehr aufzeigen wollen, können die Materialien bestellen. Dazu zählen:

ein Aktionsleitfaden, der beschreibt, wie die Aktion geplant und umgesetzt werden kann

  • eine Druckvorlage für ein als Urkunde gestaltetes Plakat, das darauf hinweist, dass „diese Kreuzung“ – also die jeweils ausgewählte, an der die Aktion stattfindet – in die Liste der „schlimmsten Kreuzungen“ aufgenommen wurde
  • eine Muster-Pressemitteilung

Das Material kann per E-Mail bestellt werden: presse@dbsv.org

Zu weiteren Infos und Pressebildern rund um "die schlimmste Kreuzung"

Schwerpunktthema: Verkehr

Vielfältig und tückisch sind die Barrieren, die sehbehinderten und blinden Menschen vielerorts im Verkehr begegnen: Mitten auf dem Gehweg abgestellte E-Roller, Ampeln ohne akustisches Signal und fehlende Leitstreifen sind nur drei Beispiele. Im Schwerpunkt dieser Sichtweisen-Ausgabe geht es um „schlimme Kreuzungen“, Orientierungshilfen und nützliche Internetseiten zum Thema.

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