Theater: Noch viel Luft nach oben

· Lavinia Knop-Walling

Audiodeskription in Berliner Theatern zu etablieren: Das ist das Ziel des Projekts „Berliner Spielplan Audiodeskription“. Für rund 50 Stücke hat das Team in den vergangenen Jahren traditionelle Audiodeskription erstellt, Schulungen organisiert und für Audiodeskription geworben. Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter, wenn das Projekt Ende Mai dieses Jahres zu Ende geht?

AudioSzene aus der „Zauberflöte“ an der Deutschen Oper Berlin: Viele Menschen sind zu sehen, im Vordergrund knien vier Gefangene.
AudioSzene aus der „Zauberflöte“ an der Deutschen Oper Berlin: Viele Menschen sind zu sehen, im Vordergrund knien vier Gefangene.  ·  Bild: Bettina Stöß

Ich arbeite für das Projekt „Berliner Spielplan Audiodeskription“ des Vereins Förderband. Das Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, Audiodeskription an Berliner Theatern zu etablieren. Mit traditioneller Audiodeskription werden Szenen auf der Bühne so beschrieben, dass es möglich ist, der Handlung auch blind zu folgen. Die Beschreibungen erfolgen für blinde und sehbehinderte Gäste live über Kopfhörer.

Meine Aufgabe ist es, das blinde und sehbehinderte Publikum darauf aufmerksam zu machen, dass Theater mit Audiodeskription, kurz AD, eine tolle Sache ist. Einige haben noch keine Erfahrungen mit AD im Theater gesammelt und müssen erst darauf hingewiesen werden, dass dieses Angebot besteht. Andere wissen davon, können sich aber noch nicht vorstellen, wie sie den Gang ins Theater bewältigen sollen.

Theaterblog und Online-Theaterclub

Ein Großteil meiner Arbeit besteht also darin, das Projekt immer wieder in Blindenwohnheimen, Schulen und Vereinen vorzustellen und Stückrezensionen für unseren Theaterblog zu schreiben. Für den Blog führe ich außerdem Interviews mit seheingeschränkten und sehenden Autorinnen und Autoren für Audiodeskription über ihre Arbeit. Darüber hinaus organisiere ich einen Theaterbeirat aus seheingeschränkten Theaterinteressierten mit und moderiere einen Online-Theaterclub. Zum Theaterclub laden wir alle zwei Monate unterschiedliche Gesprächspartner wie Dramaturginnen und Dramaturgen sowie das seheingeschränkte Publikum ein, um über Stücke mit Audiodeskription zu sprechen.

Der Startschuss des Projekts fiel im Oktober 2019. Damals waren fünf namhafte Berliner Bühnen beteiligt: das Berliner Ensemble, der Friedrichstadt-Palast, die Deutsche Oper, das Deutsche Theater und das Theater an der Parkaue. Als Kooperationspartner war außerdem der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin dabei. Seitdem sind zwei weitere Theater – die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und die Schaubühne Berlin – dazugekommen. Gefördert wurde und wird das Projekt von der Lotto-Stiftung Berlin.

Bei einer Theaterführung betastet eine ältere Frau eine große Sichel. Sie lächelt. Eine Frau rechts von ihr scheint sie dabei zu unterstützen. Rund herum stehen fünf weitere Menschen, einige von ihnen mit Langstock.
Bei einer Theaterführung betastet eine ältere Frau eine große Sichel. Sie lächelt. Eine Frau rechts von ihr scheint sie dabei zu unterstützen. Rund herum stehen fünf weitere Menschen, einige von ihnen mit Langstock.  ·  Bild: DBSV/Pedro Malinowski

Ursprünglich lief der „Berliner Spielplan Audiodeskription“ im Juni 2022 aus. Er wurde aber um zwei Jahre verlängert, und zwar bis Ende Mai 2024.

So wird Audiodeskription erstellt

Im Rahmen des Projekts gab es regelmäßig Audiodeskriptionsschulungen durch die langjährige AD-Autorin, Anke Nicolai. Geschult wurden angehende Autorinnen und Autoren.

An der Erstellung einer Audiodeskription sind an den Berliner Theatern immer drei Personen beteiligt: zwei sehende und eine mit Seheinschränkung. Eine der sehenden Personen schreibt den beschreibenden Text und erhält Feedback von den beiden anderen, die ebenfalls Formulierungsvorschläge machen und um Ergänzungen oder Änderungen bitten können.

Neben der Audiodeskription gibt es zu nahezu jeder Vorstellung eine Tastführung. Das Publikum wird dazu etwa anderthalb Stunden vorher ins Theater gebeten, um die Bühne zu begehen, Requisiten und Kulissen zu betasten und Kostüme und wenigstens eine Person aus der Schauspielbesetzung kennenzulernen. Nachdem in Corona-Zeiten oft auf eine Tastführung verzichtet wurde, ist sie in den meisten Theatern inzwischen wieder gang und gäbe und wird oft liebevoll vorbereitet.

Zusätzlich findet vor Stückbeginn eine audiodeskriptive Einführung statt. Sie kann entweder online oder eine halbe Stunde vor Stückbeginn über die Empfangsgeräte gehört werden. Darin wird das Stück kurz vorgestellt, die Schauspielbesetzung samt Kostümen und Bühne beschrieben und auf Besonderheiten im Stück hingewiesen, die für das Verständnis wichtig sind.

Persönliche Highlights

In den vergangenen Jahren gab es in Berlin etwa 50 Stücke mit Audiodeskription, die in Zusammenarbeit mit dem „Berliner Spielplan Audiodeskription “entwickelt wurden. Über die meisten davon habe ich in unserem Theaterblog berichtet. Meine persönlichen Highlights waren „Woyzeck Interrupted“ am Deutschen Theater, „Gespenster“ im Berliner Ensemble, „Die Zauberflöte“ an der Deutschen Oper und die „VIVID Grand Show“ am Friedrichstadt-Palast.

„Die Zauberflöte“ habe ich während der Saalprüfung erlebt. Das heißt, ich habe die Oper hören dürfen, bevor sie zum ersten Mal offiziell mit Audiodeskription gezeigt wurde. In der Oper gibt es immer zwei Sprecherinnen, die sich die AD und die Zusammenfassung der Übertitelung aufteilen. Übertitelung bedeutet: Die Liedtexte werden oberhalb der Bühne als durchlaufender Text angezeigt. Denn obwohl „Die Zauberflöte“ auf Deutsch gesungen wird, versteht man den gesungenen Text oft schlecht. Zwei Stimmen zu hören, macht die Audiodeskription meiner Meinung nach viel dynamischer und bietet sich in der Oper deshalb gut an. Man muss jedoch darauf achten, dass Gesang und Musik trotz Beschreibung immer noch zur Geltung kommen. Besonders die bekannten Lieder möchte man schließlich ohne Unterbrechung genießen.

Mit dem Ende des Projekts „Berliner Spielplan Audiodeskription“ im Mai 2024, stellt sich die Frage, wie es mit AD an Berliner Bühnen weitergeht. In anderen europäischen Ländern, etwa England, werden viel mehr Stücke mit AD versehen als in Deutschland. Allein in London kommen in der Spielzeit 2023/24 monatlich durchschnittlich sieben verschiedene Theaterstücke mit AD auf die Bühne. In Berlin gibt es mit durchschnittlich zweieinhalb Stücken pro Monat also noch viel Luft nach oben.

Nach fünf Jahren Projekt wünsche ich mir, dass Audiodeskription im Theater über den Projektstatus hinauswächst und zu einer festen Instanz an Berliner Theatern wird. Die Initiative der blinden Zielgruppe ist wichtig, doch auch die Unterstützung der Politik wird gebraucht. Gleichzeitig brauchen wir in einer kulturell so vielfältigen Stadt wie Berlin weiterhin die fachliche Expertise, über die zum Beispiel diejenigen verfügen, die im Projekt „Berliner Spielplan Audiodeskription“ mitwirken. Es braucht Menschen, die das nötige Fachwissen im Bereich Audiodeskription im Theater besitzen und die Theater, die Autorinnen und Autoren für Audiodeskription und das seheingeschränkte Publikum zusammenbringen. Nur auf diese Weise kann eine nachhaltige Qualität der Audiodeskription an Berliner Theatern gewährleistet werden. Wenn dieser Wunsch Realität wird, bin ich mir sicher, dass auch andere Theater deutschlandweit darin bestärkt werden können, mehr in Audiodeskription zu investieren.

Lavinia Knop-Walling (34) lebt mit Kind und Katzen in Berlin. Sie hat Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam studiert, ist blind und arbeitet seit 2019 für inklusive Kulturprojekte.

 

Schwerpunkt Theater

Vorhang auf für: Theater! Wie Stücke mit künstlerischer oder traditioneller Audiodeskription für sehbehinderte und blinde Menschen zugänglich gemacht werden, berichten Theatermenschen vom Düsseldorfer Schauspielhaus und vom Projekt „Berliner Spielplan Audiodeskription“. Sie geben Einblick in die Herausforderungen und erzählen, wie aus anfänglicher Unkenntnis Begeisterung für das Thema Inklusion wurde.

  • "Ein Schiff wechselt die Richtung" und nimmt Kurs auf das Theater der Zukunft: Über Inklusion, Barrierefreiheit und neue Wege berichten der künstlerische Leiter des Jungen Schauspiels Stefan Fischer-Fels und Dramaturgin Kirstin Hess.
  • Audiodeskription in Berliner Theatern zu etablieren: Das ist das Ziel des Projekts „Berliner Spielplan Audiodeskription“. Was wurde bis jetzt erreicht und warum ist da "noch viel Luft nach oben"?

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