Musik, Kabarett, Quiz und Gespräche: Wer beim Louis Braille Festival tagsüber aktiv an Workshops teilgenommen hatte, durfte sich abends im Hegelsaal in der Liederhalle entspannt zurücklehnen und beim Auftritt dreier Comedians lachen, mit den Singalongs mitsingen sowie den Stuttgarter Schauspieler Walter Sittler bei Ratespielen erleben und selbst mitraten. Nach den Shows ging es weiter mit Tanzen, Singen, Feiern – Party!
„Spätzle mit Soß‘“ ist ein beliebtes Gericht im Schwabenland. Statt Spätzle gab es am Freitagabend des Louis Braille Festivals „Spässle mit Soß‘“ im Hegelsaal der Liederhalle: Die Comedians Jochen Prang, Timur Turga und Khalil Khalil schilderten ihren Alltag aus humorvoller Sicht. Prang berichtete, vor welche Herausforderungen ihn, den Punkrocker, der jetzt zwei Kinder hat, das Familienleben stellt: Stundenlange müsse er etwa „Lotti Karotti“ spielen. Aber Humor, so stellte er fest, „macht schwere Dinge leichter“. Verstecken spielen immerhin würde ihm eine Weile Ruhe verschaffen, da er nur so zu tun bräuchte, als ob er die Kinder suche.
Timur Turga hat eine hochgradige Sehbehinderung und nutzte seinen Langstock auch als Markierung auf der Bühne, um nicht versehentlich einen Schritt zu weit zu gehen. Er erzählte von seinen Erfahrungen mit übereifriger Hilfsbereitschaft und wie er sich im Alltag auch manchmal seinen Spaß macht, wenn er sich blinder darstellt als er ist. Das Publikum hat es geliebt und konnte seine Erfahrungen nur zu gut nachvollziehen. Sein kleiner Seitenhieb zur Barrierefreiheit am baustellengeprägten Stuttgarter Hauptbahnhof: „Die wollen doch nur gucken, wie gut unser Mobilitätstraining war.“
Khalil Khalil stammt aus Syrien und nahm sich der Tücken der deutschen und der schwäbischen Sprache an. Prang moderierte ihn an, und war sich nicht sicher, ob das K im Namen Khalil wie K oder wie „ch“ wie in Dach ausgesprochen wird. Richtig ist „ch“. Der arabische Name ruft bei deutschen Sprechern immer noch Verwirrung hervor. Verwirrend wirkte die deutsche Sprache anfangs auch auf Khalil. Nachdem er 2015 nach Deutschland gekommen war, hat er sie jedoch schnell durchdrungen – inklusive einiger Dialekte. Sprache, Integration und Kulturschock sind seine Themen. Auf der Bühne gab er dem Festival-Publikum eine Einführung ins Schwäbische. So heiße zum Beispiel „lupfa“ auf Hochdeutsch „heben“ und „heba“ bedeute „halten“, nicht etwa „heben“. Khalil Khalil hatte Spaß daran, die Kuriositäten des Dialekts zu erklären, und das Publikum folgte ihm lachend. „Mir senn wia Lensa ond Schbäddzla“, stellte er am Ende fest, und meinte damit sich und die Besucherinnen und Besucher. Die dürften sich gefreut haben, denn wie „Linsen und Spätzle“ zu sein, bedeutet „gut zusammenzupassen“.
Singen mit den Singalongs
„Singen macht glücklich – und was könnte schöner sein, als gemeinsam zu singen?“: So war das „Mitsingen für alle“ am Freitagabend im Festival-Programm angekündigt, und darum war es nicht verwunderlich, dass sich der Hegelsaal der Liederhalle rasch füllte. Ganz ohne Netz und doppelten Boden ging es natürlich nicht, und so wurden die Besucherinnen und Besucher musikalisch unterstützt von der zu diesem Zweck gegründeten Band „The Singalongs“. Vier der Bandmitglieder spielen sonst als „Kids of Adelaide“ zusammen. Musikerin Inga Amai Schmitt leitet einen Stuttgarter Kneipenchor und begleitete die Band beim Mitsingabend mit Gesang und Geige.
Die Songtexte bildeten einen weiteren Teil des Sicherungsnetzes für die singbegeisterten Gäste: Sie waren auf einer großen Leinwand zu lesen – für alle, denen das möglich war. Zuvor waren sie auch im Internet veröffentlicht worden, und die Gäste erhielten Liedblätter, auch in Brailleschrift.
Gesungen wurden zum einen bekannte deutsche Lieder wie „Heute hier, morgen dort“, „Über den Wolken“ und „Major Tom“. Zum anderen bekannte englischsprachige Songs wie „Sweet Home Alabama“, „Hey Jude“, „What a Wonderful World“ und „Son of a Preacher Man“, bei denen die meisten zumindest den Refrain auswendig mitsingen konnten. Und einige englische Songs, die zwar bekannt sind, mit deren Texten sich aber die wenigsten bis zum Mitsingabend beschäftigt haben dürften, zum Beispiel „Don’t Look Back in Anger“, „Don’t Stop Believing“ und „Sing About it“.
Der guten Stimmung tat das keinen Abbruch, und so hat das gemeinsame Singen viele zumindest für diesen Abend glücklich gemacht.
Wer noch Kondition und Lust auf mehr Musik hatte, konnte am späteren Abend zur Party mit DJ Christian Ohrens in den Schillersaal gehen, ebenfalls in der Liederhalle.
Raten mit Schauspieler Walter Sittler
Showtime war auch am Samstagabend angesagt, wieder im großen Hegelsaal der Liederhalle. Christoph Sonntag vom Südwestrundfunk moderierte und wurde mit einem „Happy Birthday“-Ständchen aus Hunderten Kehlen bedacht, denn er feierte an diesem Abend seinen Geburtstag auf der Bühne. Prominenter Gast war der in Stuttgart lebende Schauspieler Walter Sittler. Für die Live-Audiodeskription sorgte, wie auch am Freitagabend, Tomke Koop von HörMal Audiodeskription.
Musikalisch rockte die Coverband Warehouse aus Marburg den Saal. Kabarett gab es auch in dieser Show: DBSV-Mitarbeiter Robbie Sandberg nahm ironisch die Vorurteile und Übergriffigkeiten, die sehende Menschen oft gegenüber blinden Menschen an den Tag legen, aufs Korn.
Für einige Ratespiele durften sich Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Publikum melden, um gegen Walter Sittler anzutreten. Bei einem Spiel mussten sie mit verbundenen Augen Gegenstände ertasten und daran Krimifilme erkennen. Ein Schaukelstuhl, ein Duschvorhang und ein Messer zum Beispiel brachten die Ratenden auf den Klassiker „Psycho“ von Alfred Hitchcock.
Eine kurze kriminalistische Geschichte zum Mord in einer Sauna las Christian Spremberg in Brailleschrift vor. Wer war der Mörder oder die Mörderin? Diese Frage ließ er offen, und die Ratenden mussten sich der Antwort durch geschickte Fragen nähern. Und kamen am Ende auch auf die Lösung.
Die Lust zu feiern war bei vielen auch nach der Samstagabendshow nicht verflogen, und so zog es sie wieder vom Hegel- in den Schillersaal. Dort stand noch einmal Warehouse auf der Bühne und brachte die Anwesenden mit Rocksongs zum Tanzen, darunter wie beim Mitsingabend „Sweet Home Alabama“. Erst nach drei Zugaben durfte auch die Band gegen Mitternacht Feierabend machen.
Partystimmung im Schillersaal
Für einen musikerfüllten Ausklang der ersten beiden Tage des Louis Braille Festivals sorgten die beiden Partys im Schillersaal. Der blinde DJ Christian Ohrens legte am Freitagabend auf und füllte mit bekannten Partyliedern wie „Poison“ von Alice Cooper, „Ein Stern (der deinen Namen trägt)“ von DJ Ötzi und Nik P. und „Angels“ von Robbie Williams die Tanzfläche mit sehenden, sehbehinderten und blinden Menschen. Unter bunten Discolichtern wurde gefeiert, bis um Mitternacht die Musik verstummte.
Die Coverband Warehouse aus Marburg spielte im Anschluss an die LBF-Samstagabendshow Rock- und Pop-Hits aus den vergangenen sechs Jahrzehnten und sorgte für ausgelassene Stimmung. Erst nach den drei Zugaben „Westerland“ von den Ärzten, „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen und „Summer of ’69“ von Bryan Adams und nicht enden wollendem Applaus verabschiedeten sich die vier Musiker Tom Schäfer, Atze Schmitt, Tizian Bieker und Jens Flach.
Alkoholische und alkoholfreie Cocktails wie Caipirinha, Mojito und Planter’s Punch mixten an der Bar vor dem Schillersaal die Blind Shakers, bestehend aus Mitgliedern des Blinden- und Sehbehindertenverbands Württemberg.
Schwerpunktthema Das Louis Braille Festival 2024
Musik, Stimmengewirr, Lachen – schon die Geräuschkulisse spiegelte die Vielfalt der Aktionen, die fröhliche Stimmung und die zahllosen Begegnungen beim Louis Braille Festival (LBF) Anfang Mai in Stuttgart wider. Mehr als 5.000 Besucherinnen und Besucher machten mit bei Workshops, Sport und Spiel, hörten Lesungen und Konzerte, genossen die großen Shows, probierten Dinge aus, lernten etwas, tanzten und knüpften Kontakte. Manche hätten gern länger als drei Tage gefeiert.
- Eine Zusammenfassung mit vielen Highlights vom "Festival der Rekorde" gibt es im Überblicksartikel.
- Über 5.000 Festivalbesucherinnen und -besucher waren "Froh, dabei zu sein". Vom Anfang und Ende des "Festivals der Rekorde".
- "Ein Ort, um Neues auszuprobieren" war der Berliner Platz in Stuttgart, als zahllose Festivalgäste Blindenfußball, Zumba, Tandem- und Motorradfahren und vieles mehr ausprobierten.
- Die FührhundLounge lockte Führhunde mit ihren Halterinnen und Haltern zu "Massagen, Training und Spielwiese".
- Es war "Viel los beim Markt der Begegnungen", wo Landesvereine und Organisationen der Selbsthilfe mit ihren Ständen die Festivalgästen empfingen.
- Für "Jede Menge Spässle" sorgten Comedians, Audiodeskription, prominente Gäste und Musikeinlagen bei den Abendshows.
- Bunte Trikots und schicke, schwarze Anzüge, sportliche Höchstleistung und musikalischer Wortwitz sowie "Trampolin-Bolero und Musik-Satire" kontrastierten im Schillersaal.
- "Im Mittelpunkt die Liebe", hieß es beim ökumenischen Gottesdienst am Sonntagmorgen.
- In der Sonderfolge des Sichtweisen-Podcasts teilen die Redakteurinnen Ute Stephanie Mansion, Leonie Koll und Lisa Mümmler ihre Erlebnisse und Eindrücke beim Louis Braille Festival.