Louis Braille Festival 2024: Ein Ort, um Neues auszuprobieren

· Leonie Koll und Ute Stephanie Mansion

Quirliges Treiben herrschte auf dem Berliner Platz, dem Außengelände des diesjährigen Louis Braille Festivals. Die Gäste machten bei vielen Aktionen mit, informierten sich an Ständen, lauschten Musik von der Bühne und stärkten sich an einem Foodtruck für die nächsten Programmpunkte. Zu den sportlichen Angeboten auf dem Platz zählten Skateboard-Fahren, Fußball und Schießen.

Das Bild ist von hinten über die Schulter einer Frau mit dunklen, langen Haaren in weißem T-Shirt aufgenommen. Sie wirft vor einem ausgelassenen Publikum motiviert die Arme in die Höhe.
Das Bild ist von hinten über die Schulter einer Frau mit dunklen, langen Haaren in weißem T-Shirt aufgenommen. Sie wirft vor einem ausgelassenen Publikum motiviert die Arme in die Höhe.  ·  Bild: DBSV/Reiner Pfisterer

In sanftem Trubel erkunden die Besucherinnen und Besucher des Louis Braille Festivals das Festivalgelände. Manche allein, andere mit Führhund, zu zweit oder als Gruppe queren sie den Platz vor der Liederhalle. Einige haben einen Langstock dabei, der über die neu verlegten Leitstreifen gleitet. Andere Gäste haben es sich auf Bierbänken gemütlich gemacht und lassen das Treiben auf sich wirken. Von der Bühne auf der Mitte des Platzes tönt Musik. In der Führhund-Lounge laufen und spielen ein Dutzend Hunde.

Der Berliner Platz spiegelt die Vielfalt des Festivalprogramms wider: Mitmach-Aktionen, Bühnenaufführungen und Gelegenheit, sich mit anderen auszutauschen, alles ist vorhanden.

Die Stände laden zum Mitmachen und Erleben ein. Eine Frau breitet ihren Programmplan aus: „Morgen wollen wir zum Qigong, und heute machen wir Achtsamkeit“, verkündet sie ihrer Gruppe. Davor muss sie sich entscheiden zwischen Graffiti und Stone-Painting, zwischen Tandemfahren und der Möglichkeit, auf einem Skateboard zu stehen.

Johannes Bruckmeier, der sich in den sozialen Netzwerken als „legal blind Skateboarder“, also gesetzlich blinder Skateboarder, präsentiert, möchte beim Festival andere Menschen mit Sehbeeinträchtigung motivieren, sich aufs Board zu trauen. „Man sollte Respekt haben, aber keine Angst“, sagt er. Er hilft den Teilnehmenden, auf das Board zu steigen und hält sie bei ihren ersten Versuchen fest. Er selbst nutzt einen Langstock beim Skaten, um die Distanz zu Hindernissen abzuschätzen. Für einen lässigen Sprung auf eine Bank, nimmt er Anlauf, ertastet die Höhe, hebt das Board an und rutscht mit der Unterseite des Skateboards entlang der Kante der Sitzfläche. Sicher gelandet.

Nicht weniger Präzision ist beim Schießen mit einer Laserwaffe wie beim Para-Biathlon erforderlich. Mit konzentrierten Gesichtern liegen die sportlichen Besucherinnen auf einer Matte vor der Liederhalle und lauschen auf die Klickgeräusche. Langsames oder schnelles Klicken signalisiert ihnen, ob sie mit dem Holzgewehr in die richtige Richtung zielen. Eine junge Frau mit getönter Brille ist offenbar ein Naturtalent: Sie hat das Ziel fünfmal hintereinander getroffen. Kurz vorher hatte sie den Vortrag der erfolgreichen Para-Biathletin Linn Kazmaier auf dem Festival gehört. Vielleicht hat ihr die Inspiration nun zu einem neuen Hobby verholfen.

Eine Frau mit dunklen Haaren, Jeans und rotem T-Shirt liegt auf einer Matte. Sie hält das Lasergewehr und stützt sich auf den Ellenbogen ab. Neben ihr hockt eine Frau in Jeans und dunkelblauer Jacke. Ihre Kopfhörer und das Gewehr sind verkabelt.
Eine Frau mit dunklen Haaren, Jeans und rotem T-Shirt liegt auf einer Matte. Sie hält das Lasergewehr und stützt sich auf den Ellenbogen ab. Neben ihr hockt eine Frau in Jeans und dunkelblauer Jacke. Ihre Kopfhörer und das Gewehr sind verkabelt. · DBSV/Reiner Pfisterer
Mehrere Frauen, zum Teil mit Sonnenbrillen, bewegen sich beim Zumba-Workout auf dem Berliner Platz. Viele recken den rechten Arm in die Luft.
Mehrere Frauen, zum Teil mit Sonnenbrillen, bewegen sich beim Zumba-Workout auf dem Berliner Platz. Viele recken den rechten Arm in die Luft. · DBSV/Reiner Pfisterer

Strahlende Gesichter beim Blindenfußball

Ob das auch für diejenigen gilt, die am Workshop Blindenfußball teilnehmen? Ihre Gesichter strahlen jedenfalls nach dem Training mit Benjamin Zoll, Lehrer an der Nikolauspflege, der auch schon als Co-Trainer für die deutsche Blindenfußball-Nationalmannschaft tätig war. Es sind sehende und blinde Erwachsene, die sich darin üben, ohne etwas zu sehen, den Ball zuzuspielen – die Sehenden mit Dunkelbrille. Am Ende liefern sie sich sogar ein Match. „Die haben sich so gut eingespielt und hatten keine Angst, sodass sie wirklich loslegen konnten“, erzählt Zoll nach dem Training. Für Sehende sei es eine große Herausforderung, das Visuelle abzuschalten und dann auch noch einen Ball zu führen. Teilnehmerin Lena Hetsch bestätigt das, sagt aber auch, es habe ihr großen Spaß gemacht und sie überlege, ob Blindenfußball nicht etwas für einen Teamtag auf der Arbeit sei, denn: „Man muss sich aufeinander verlassen können.“

Bunten Salat gibt es beim Training mit Manuel Bierig vom Projekt für inklusive Fußball-Förderung (Pfiff), initiiert vom VfB Stuttgart. Nicht zum Essen, sondern auf dem Platz und mit viel Bewegung verbunden: Die Kinder und Jugendlichen, die bei seinem Training dabei sind, darunter auch solche mit einer Seheinschränkung, machen auf sein Kommando bestimmte Übungen: Jeder dribbelt mit einem Ball umher, und wenn das Kommando „Erdbeere“ ertönt, knien sie sich darauf, bei „Kürbis“ springen sie vor und hinter den Ball, bei „Tomate“ setzen sie sich darauf.

Auf einer mit Banden und Netzen abgetrennten Rasenfläche üben Kinder mit einem Fußball. Im Vordergrund liegen gelbe, grüne, blaue und rote Markierteller.
Auf einer mit Banden und Netzen abgetrennten Rasenfläche üben Kinder mit einem Fußball. Im Vordergrund liegen gelbe, grüne, blaue und rote Markierteller. · DBSV/Reiner Pfisterer
Mehrere Motorräder mit Beiwagen stehen vor der Liederhalle. Sie sind besetzt mit Menschen in schwarzer Motorradkleidung. Alle tragen schwarze Motorradhelme. Die Visiere sind hochgeklappt. Ganz vorn steht ein blau-schwarz lackiertes Motorrad.
Mehrere Motorräder mit Beiwagen stehen vor der Liederhalle. Sie sind besetzt mit Menschen in schwarzer Motorradkleidung. Alle tragen schwarze Motorradhelme. Die Visiere sind hochgeklappt. Ganz vorn steht ein blau-schwarz lackiertes Motorrad. · DBSV/Reiner Pfisterer

Besondere Sinneserfahrung im Dunkelzelt

Unter die angemeldeten mischen sich auf dem Berliner Platz auch Stuttgarter Gäste. Sie genießen die Musik und schauen, ob sie etwas Neues ausprobieren können. Das „Dunkelzelt“ des Vereins aus:sicht, der auch ein Dunkelrestaurant in Stuttgart führt, verspricht eine besondere Sinneserfahrung für sehende Menschen: In dem Zelt ist es komplett finster. Tast- und Geruchssinn sind gefragt. Kleine Gruppen betreten das Zelt und müssen sich absprechen. Tippe ich meine Nebenfrau an? Kann ich über die Füße dessen stolpern, der vor mir geht? Und wer ist überhaupt noch mit im Raum? Vielleicht öffnet die Erfahrung einigen sehenden Besucherinnen und Besuchern die Augen für die Herausforderungen blinder und sehbehinderter Menschen.

Schwerpunktthema Das Louis Braille Festival 2024

Musik, Stimmengewirr, Lachen – schon die Geräuschkulisse spiegelte die Vielfalt der Aktionen, die fröhliche Stimmung und die zahllosen Begegnungen beim Louis Braille Festival (LBF) Anfang Mai in Stuttgart wider. Mehr als 5.000 Besucherinnen und Besucher machten mit bei Workshops, Sport und Spiel, hörten Lesungen und Konzerte, genossen die großen Shows, probierten Dinge aus, lernten etwas, tanzten und knüpften Kontakte. Manche hätten gern länger als drei Tage gefeiert.

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