EUTB: „Ich kann alles, wenn auch anders“

· Oliver Upmann

Oliver Upmann hat sich von EUTB-Beraterin Alisia Neukamm in Mannheim beraten lassen. Unterstützung suchte er vor allem wegen seiner familiären Situation, doch auch zu weiteren möglichen Teilhabeleistungen erfuhr er Wissenswertes. Warum er sich beraten ließ und wie die Beratung war, schildert er im folgenden Beitrag. Eine Sache stört ihn, aber die hat mit politischen Entscheidungen zu tun, nicht mit den Beratungsstellen.

Oliver Upmann hat kurzes dunkles Haar. Er trägt einen kurzen Vollbart, eine Brille und ein helles Hemd.
Bild: DBSV/privat

Ich habe eine progressive degenerative Augenerkrankung: Retinitis pigmentosa. Meine Sehkraft hat jetzt, mit Mitte 30, noch mal deutlich nachgelassen. Das und die Geburt meines Sohnes haben mich bewogen, mich noch einmal mit der Thematik der Teilhabe auseinanderzusetzen, mit Nachteilsausgleichen und mit Werkzeugen, die mir das Leben erleichtern.

Ich war auf einer Sehbehindertenschule in Soest, habe dort Abitur gemacht und bin dadurch schon viel mit diesen Themen konfrontiert worden. Die Beratungssysteme wurden aber in den vergangenen zehn Jahren deutlich modernisiert und verbessert. Darum habe ich mich in die EUTB-Beratung begeben. Ich wollte schauen, ob mein Unterstützungsbedarf an der einen oder anderen Stelle noch besser gedeckt werden kann. Am Anfang stand eine Überblicksberatung darüber, welche Möglichkeiten der Unterstützung es gibt.

Nur beim Erstgespräch war ich in den Räumen der EUTB, im Nachgang habe ich E-Mails geschrieben und telefoniert. Die Erstberatung hat relativ lange gedauert, weil wir viele Punkte durchgesprochen haben.

Über meinen Arbeitsplatz haben wir nur kurz geredet: Er war vom Integrationsamt eingerichtet worden, da fühlte ich mich bereits super betreut. Insbesondere ging es mir um die Vaterschaft – darum, einen Kindergartenplatz in der Nähe zu finden, damit ich meinen Sohn in den Kindergarten bringen kann, ohne weite Strecken zurücklegen zu müssen.

Die EUTB-Beraterin, Alisia Neukamm, hat mich sehr gut beraten und mir verschiedene Ansatzpunkte aufgezeigt, wie wir uns der Thematik nähern können. Eine Lösung haben wir leider nicht gefunden, weil der Mannheimer Gemeinderat einen Beschluss gefasst hat über eine Priorisierung mittels eines Sozialpunkteverfahrens. In diesem Vergabesystem gibt es keine Öffnungsklausel für schwerbehinderte Eltern.

Ich habe auch Michael Richter von der Rechtsberatungsgesellschaft rbm kontaktiert, der das rechtlich geprüft hat. Auch zur städtischen Behindertenbeauftragten hat Frau Neukamm Kontakt hergestellt. Ich habe mich zudem ans Jugendamt gewandt, wo das Vergabeverfahren für Kindergartenplätze angesiedelt ist. Leider habe ich von allen die gleiche Rückmeldung bekommen: Es gibt keine Möglichkeit, rechtlich, menschlich, persönlich auf dieses System einzuwirken.

Aufklärung auch zum Thema Elternassistenz

Später hat sich herausgestellt, dass eine Mitarbeiterin oder eine ehrenamtliche Kraft des Blinden- und Sehbehindertenvereins im Gemeinderat mitwirken darf, um diesen Punkt perspektivisch zu verändern. Sie bringt meinen Fall als Beispiel an, um das Vergabesystem wenigstens mit einer Öffnungsklausel zu versehen, damit Einzelfallentscheidungen getroffen werden können. Wir haben zum Glück viel Hilfe auf menschlicher Ebene erfahren und einen Kindergartenplatz in der Nähe bekommen.

Auch zum Thema Elternassistenz wurde ich in der EUTB gut aufgeklärt. Ich erhielt Informationen über einen Verein, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Elternassistenz kommt jedoch für mich nicht in Frage, weil ich einen Job habe, mit dem ich Geld verdiene. Die Leistung ist an Einkommens- und Vermögensgrenzen gebunden, wenn man Sozialleistungen in Anspruch nehmen will. Dies möchte ich nicht, auch weil ich weiß, dass mein Einkommen über den Vermögens- und Einkommensgrenzen liegt.

Dabei wäre Elternassistenz eine gute Sache für mich, zum Beispiel, wenn ich mal einen Tag im Zoo oder im Schwimmbad mit meinem Kind verbringen möchte, was ich allein nicht stemmen kann. Ich kann zwar allein in den Wald gehen, spazieren gehen, an einen Weiher gehen, aber eine größere Aktion wäre schwierig.

In der Beratung ging es noch um andere finanzielle Unterstützung oder Werkzeuge, die einem im Alltag als schwerbehinderter oder blinder Mensch helfen. Wir haben zum Beispiel über das Thema „Pflegegrad“ gesprochen. Hier habe ich jedoch keinen Bedarf.

Die EUTB habe ich allen weiterempfohlen, die eine Schwerbehinderung und Bedarf an Beratung oder Hilfeleistungen haben. Vor allem Sportlern habe ich den Tipp gegeben, denn ich mache Para-Judo als Leistungssport.

Lotse im Dschungel der Teilhabeleistungen

Die Leute, die ich kenne und die sich bei der EUTB haben beraten lassen, sagten hinterher, es sei sehr gut und hilfreich gewesen. Sie hätten Informationen erhalten, von denen sie im Vorfeld nichts wussten. Das ist ein wichtiger Aspekt: Die EUTB führt Ratsuchende durch den Dschungel der Teilhabeleistungen. Von einem späterblindeten Sportler habe ich gehört, dass er sich bei der EUTB zum persönlichen Budget für Freizeit und Studienbegleitung hat beraten lassen.

Durch die Sehbehindertenschule war ich schon gut informiert über viele Hilfeleistungen. Doch leider gab es dort keine systematische Beratung, sondern Lehrer, Erzieher und anderes Personal haben bei Gelegenheit darüber informiert. Als Leistungssportler wurde ich über den Olympiastützpunkt betreut, und die haben mir auch in Bezug auf meine Schwerbehinderung geholfen und mich auf meinem Weg begleitet.

Ich war als Judoka bei den Paralympischen Spielen in London, Rio und Tokio dabei. Meine Gemeinschaft und der Leistungssport haben mich zu einem selbstständigen und selbstbewussten Menschen gemacht. Ich habe keinerlei Hemmungen, auch gegen eine Obrigkeit meine Wünsche und Probleme darzulegen.

Das ist bei vielen Menschen mit Behinderung anders. Sie wurden klein gehalten, vor den Kopf gestoßen, man hat ihre Nöte nicht ernst genommen, und das endet, wie ich beobachte, oft in Resignation. Solche Menschen nehmen sich selbst arg zurück, und die Gesellschaft sieht ihre Probleme und Nöte nicht.

Dauerhafte Finanzierung muss sichergestellt werden

Da bin ich anders. Ich kann nach Hilfe fragen, wenn ich welche brauche. Zum Glück habe ich in meinem bisherigen Leben viele Menschen kennengelernt, die mir geholfen haben, Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich sage immer: Ich kann alles, wenn auch anders. Es gibt nur wenige Dinge, die ich nicht kann, zum Beispiel Autofahren.

Aus meiner Sicht gehört die EUTB als öffentliche Einrichtung etabliert, und zwar dauerhaft. Das heißt: Eine dauerhafte Finanzierung der Angebote muss sichergestellt werden. Die Arbeitsagentur und die Rentenversicherung sind doch auch kein auf sieben Jahre angelegtes Projekt! Wir Betroffene hängen vielleicht, wenn die Beratung abgeschafft wird, wieder in einem luftleeren Raum. Unsäglich.

Warum wird nicht mal mit einer großen Kampagne für die EUTB geworben? Das würde auch dafür sorgen, dass das Thema Behinderung und Nachteilsausgleich in die breite Öffentlichkeit getragen wird. Wir müssen weg von dem Duktus „Da ist ein Behinderter, dem müssen wir helfen“ hin zu „Da ist ein Mensch, der bekommt die Hilfeleistung, die er benötigt. Punkt.“

Oliver Upmann (36) lebt in Mannheim. Er ist Betriebswirt und arbeitet beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar.

Schwerpunktthema: EUTB

Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB, ist ein deutschlandweites Beratungsangebot. Alle Menschen mit Behinderung oder zu erwartender Behinderung sowie ihre Angehörigen können sich dort beraten lassen – oft von Beraterinnen und Beratern, die selbst eine Behinderung haben. Das Angebot besteht seit 2018 und kommt gut an. Dennoch ist es noch nicht verstetigt. Jetzt geht es erst einmal bis 2029 weiter.

  • Beratung auf Augenhöhe“ gibt es bei der EUTB. Welche Unterstützungsmöglichkeiten das bundesweite Angebot Menschen mit Behinderung bietet.
  • Da sitzt jemand, der mich versteht“ – das ist Alisia Neukamm. Wie ihre Arbeit als EUTB-Beraterin aussieht und wie ihr eigene Erfahrungen dabei helfen.
  • Wie, von wem und warum die EUTB aufgesucht wird, wurde wissenschaftlich untersucht und ausgewertet. Die Ergebnisse gibt’s in „Zahlen und Fakten“.
  • Para-Yudoka Oliver Upmann sagt: „Ich kann alles, wenn auch anders“. Warum er zur EUTB-Beratung ging und was er dort erfuhr.

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