Einsamkeit: "Mut haben, sich einzuklinken"

· Rita Schroll

Als Leiterin des Hessischen Koordinationsbüros für Frauen mit Behinderung, Trainerin für Resilienz und privat engagiert in einem Nachbarschaftsnetzwerk hat unsere Autorin öfter mit Menschen zu tun, die sich einsam fühlen. Sie gibt ein paar Tipps, wo und wie man mit anderen Kontakt aufnehmen kann, um zumindest das Alleinsein eine Weile hinter sich zu lassen.

Am Ende eines Holzstegs sitzt eine Frau und blickt mit abgewandtem Rücken aufs Meer.
Bild: Pixabay/Pexels

Als Leiterin des Hessischen Koordinationsbüros für Frauen mit Behinderung erlebe ich viele Frauen, auch blinde, die Probleme mit Einsamkeit haben. Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen. Niemand sollte sich jedoch aufgrund von Einsamkeit entwertet fühlen.

Einsamkeit ist oft mit Scham besetzt. Durch die Blindheit oder Sehbehinderung sind die Möglichkeiten, der Einsamkeit entgegenzuwirken, eingeschränkt. So ist es beispielsweise aufgrund der visuellen Behinderung schwieriger, einen Smalltalk an der Bushaltestelle oder im Café zu beginnen. Doch es gibt Möglichkeiten, die wir als blinde oder sehbehinderte Menschen nutzen können, um Einsamkeit zu überwinden  –  oder zumindest das Alleinsein.

Nutzen Sie Angebote des örtlichen Blinden- oder Sehbehindertenvereins bzw. anderer örtlicher Vereine, mit denen Sie gemeinsam Ihrem Hobby nachgehen können!

Scheuen Sie sich nicht, mit anderen Menschen über Ihre Einsamkeit zu sprechen. Sie werden staunen, wie viele Menschen aus Ihrem Bekannten- oder Freundeskreis zumindest zeitweise ebenfalls von Einsamkeit betroffen sind. Vermutlich entdecken Sie Ideen für gemeinsame Unternehmungen.

Vielleicht möchten Sie sich ehrenamtlich engagieren: Über die vielen Möglichkeiten dafür informieren etwa Ehrenamtsbörsen der Städte. Auch die Wohlfahrtsverbände bieten ein reiches Spektrum an Betätigung.

In der Gruppe macht vieles mehr Spaß

Über das bundesweit organisierte Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de können Sie im Internet Hilfe, Begleitung und vieles mehr suchen oder anbieten. Unternehmungen können darüber geplant oder Mitglieder für eine Gruppe gefunden werden. Leider ist die Plattform nicht hundertprozentig barrierefrei.

Wichtig ist es, den Mut zu haben, sich einzuklinken und zu sagen, ich suche jemanden, zum Beispiel zum Karten spielen oder für ein anderes Hobby, beispielsweise Handarbeiten. In einer Gruppe macht es meistens mehr Spaß, da Anregungen und Impulse gegeben werden können.

Finden Sie den Weg nicht, scheuen Sie sich nicht zu fragen, ob jemand Sie an der nächstgelegenen Bus- oder Bahnhaltestelle oder einem Treffpunkt in der Nähe des Veranstaltungsortes abholen und wieder dorthin zurückbringen kann. Vielleicht wohnt jemand ohnehin in Ihrer Nähe, und Sie können gemeinsam zum Treffpunkt gehen. Doch achten Sie darauf, dass sich die Hilfe möglichst auf mehrere Personen verteilt.

Foren, Chats und Mailinglisten

Weitere Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, sind zum Beispiel Foren oder Gruppen über Facebook, Xing, die zahlreich existierenden WhatsApp-Gruppen und Mailinglisten, in Telefonchats über das „Dorf“ oder die Kommunikationsplattform Blindzeln. Das „Dorf“ ist ein rein akustisch funktionierendes Netzwerk. Auch Foren zu verschiedenen Themen bietet es an. Die Teilnahme funktioniert nur über das Telefon.

"Home Workout" ist auf hellem Hintergrund zu lesen.
Bild: Pixabay/lifestylehack

Sport ist eine Tätigkeit, die den meisten Menschen Energie gibt und von trüben Gedanken löst. Wir blinden oder sehbehinderten Menschen können zwar nicht allein Rad fahren und auch allein zu wandern, ist schwierig. Doch Schwimmen, Paddeln oder Rudern beispielsweise, vielleicht als Mitglied in einem Verein, sind möglich. Auch ein Crosstrainer oder ein Heimfahrrad können Energie bringen. Wer sich draußen bewegen will, kann zum Beispiel Seilchen springen.

Aufschreiben, was das Leben bereichert

Ein weiterer Tipp: Schreiben Sie sich alles auf, was Ihnen guttut, und zwar in dem Moment, in dem es Ihnen richtig gutgeht. Es hilft auch, sich jeden Tag zu überlegen: Was hat heute mein Leben bereichert? Aufzuschreiben, was Ihnen Kraft gibt und/oder was Sie erfüllt, könnte eine hilfreiche Ideenliste bei aufkommender Langeweile sein. Auch ein regelmäßig gepflegtes Erfolgstagebuch ist ein gutes Mittel gegen das sogenannte Kleine-Maus-Gefühl.

Sechs weiße Würfel mit schwarzen Augen, die durcheinander kullern und sich in der Oberfläche spiegeln.
Bild: Pixabay/günter

Corona hat natürlich die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen erschwert, doch Würfel- oder Quizspiele können mit anderen Menschen auch über Telefon oder online gespielt werden.

Handlungsperspektive suchen

Wenn Sie sich in eine neue Gruppe wagen, bedenken Sie: Jede Person, die als neues Mitglied in eine Gruppe kommt, befürchtet meistens zunächst, in dieser Gruppe keinen Platz zu finden. Zudem können Sie sich vorher fragen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Und auf dieser Antwort eine Handlungsperspektive aufbauen.

Bei großen Zusammenkünften auf lockere Art mit anderen zusammen zu sein, ist für uns blinde oder sehbehinderte Menschen schwieriger als für sehende Menschen. Vor allem, wenn wir keine Assistenz haben, die uns zu den Personen bringen kann, die wir kennen oder kennenlernen möchten. Überlegen Sie sich in jeder Situation, ob gerade ein Tag ist, an dem Sie sich diese Anstrengung zumuten möchten, oder ob Sie lieber allein einsam als in einer Gruppe einsam sein möchten.

Jeder Mensch fühlt sich manchmal einsam

Denn natürlich können sich Menschen auch in einer Gruppe einsam fühlen. Dies erleben, so meine Erfahrung als Beraterin, viele Menschen häufig schlimmer, als allein einsam zu sein. Manchmal ist es auch gut, die Einsamkeit auszuhalten – und nach Möglichkeit aus ihr eine Perspektive zu entwickeln.

Jeder Mensch, ob blind oder nicht, fühlt sich manchmal einsam. Neulich rief mich eine Frau an, die sagte, sie sucht jemanden für regelmäßige Gespräche, sie fühlt sich einsam und möchte sich einfach gerne mal mit anderen unterhalten. Sie hatte den Mut, danach zu fragen, und so konnte ihr geholfen werden.

Schwerpunktthema Einsamkeit

Ist sie wie Regen, wie Curry oder ein schmerzhaftes, reißendes Gefühl? In unserem Schwerpunktthema tauchen viele Vergleiche auf, um Einsamkeit zu beschreiben. Häufig, aber nicht immer, bedeutet einsam zu sein auch, allein zu sein. Wie sie Einsamkeit erleben und was man ihr entgegensetzen kann, schildern blinde und sehbehinderte Menschen in den folgenden Beiträgen. Gedichte veranschaulichen Einsamkeit auf poetische Weise.

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