Als ehemalige Software-Entwicklerin versteht Brigitte Buchsein viel von Informationstechnologie. Doch als blinde Nutzerin steht auch sie oft vor Barrieren, denen sie auf Websites und in Apps begegnet. Welche sie besonders behindern und wie sie damit umgeht, schildert sie im folgenden Bericht. Trotz frustrierender Erfahrungen blickt sie optimistisch in die digitale Zukunft.
Auf digitale Barrieren stoße ich sehr häufig, da ich sowohl beruflich als auch privat viel am Computer und am Smartphone unterwegs bin. Viele Anwendungen sind noch nicht barrierefrei – leider auch oft solche, die ganz neu gemacht sind.
Vom Gefühl her treffe ich eher bei privaten Anbietern als bei öffentlichen Stellen auf Barrieren. Meistens sind Apps auf dem Handy zugänglicher als Websites am Computer. Ich konnte es allerdings noch nicht systematisch testen.
Manche Barrieren sind nur lästig, andere so gravierend, dass ich nicht ans Ziel gelange. Häufig komme ich bei rein grafisch dargestellten Datumsfeldern nicht weiter. Für sehende Menschen wird der Kalender oft grafisch nachgebildet, während ein einfaches Eingabefeld für das Datum für Menschen mit Sehbehinderung deutlich einfacher auszufüllen wäre.
Auch sind Schalter, Links und andere Elemente oft nicht benannt, sodass man raten muss, welche Funktion sie haben. Oder sie sind benannt, aber mit einer englischen Bezeichnung.
Häufig stoße ich auch auf Captchas, die verhindern sollen, dass eine Seite missbräuchlich von einem Computerprogramm, einem Bot, genutzt wird. Um das Captcha zu überwinden und weiterzukommen, werden oft grafische Aufgaben gestellt: Diese Art von Captchas schließen Menschen, die einen Screenreader nutzen oder die Bilder nicht gut genug erkennen können, jedoch aus.
Und manchmal ist es ein Haken, den ich nicht setzen kann – leider auch bei Pflichtfeldern. In diesen Fällen bleibt die Seite schlichtweg unbenutzbar.
Eigentlich müsste ich Barrieren viel häufiger melden, doch im Alltag fehlt mir manchmal die Energie dafür, da ich beruflich sehr eingespannt bin und viele ehrenamtliche Aufgaben wahrnehme. Manchmal verzichte ich frustriert auf die Nutzung der Seite, manchmal bitte ich sehende Freunde um Hilfe. Wenn mir die Seite besonders wichtig ist, melde ich die Barriere aber doch direkt beim Anbieter der Seite.
Für den Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen habe ich Workshops zum Melden von Barrieren durchgeführt. Sie waren Teil des DBSV-Projekts „Durchsetzungsbegleitung digitale Barrierefreiheit“. Die Workshops waren sehr hilfreich, sowohl für die Teilnehmenden als auch für mich selbst. Wenn man an einer Anwendung scheitert, denkt man manchmal doch, man sei „zu blöd“ dafür. Zu erleben, dass man selbst nicht das Problem ist, sondern die Anwendung, wirkt sehr bestärkend.
Besonders wertvoll ist auch die klare Struktur, die die Workshops zum Melden von Barrieren bieten: Sie zeigt auf, wie man Barrieren in einer guten Weise melden kann – denn einfach allgemein sagen „es geht nicht“ hilft nicht, man muss das Problem konkret benennen.
Ich habe auch schon digitale Barrieren an öffentliche Stellen gemeldet. Die Rückmeldungen fallen unterschiedlich aus: Manche Stellen reagieren schnell und lösungsorientiert, bei anderen hatte ich das Gefühl, offene Türen einzurennen, weil gerade eh etwas in Arbeit war. Aber manchmal ist es auch frustrierend, wenn man nur vertröstet wird.
Für den DBSV bin ich Mitglied in der programmbegleitenden Arbeitsgruppe der Deutschen Bahn. Diese Gruppe berät die Bahn unter anderem zur Web-App bahnhof.de. Damit gibt es leider auch frustrierende Erfahrungen. Es gab vorher gut funktionierende Apps, die jedoch eingestellt wurden. Von heute auf morgen sollten dann alle stattdessen bahnhof.de benutzen. Diese App war aber zum Zeitpunkt der Umstellung weder barrierefrei noch enthielt sie alle nötigen und in den früheren Apps verfügbaren Funktionen. Daran muss nun im Nachgang der Umstellung noch gearbeitet werden.
Da bleibt nur, immer und immer wieder an die Barrierefreiheit zu erinnern. Verbesserungen gibt es zum Glück auch – aber nicht in dem Tempo, in dem es wichtig wäre
Trotz allem bin ich optimistisch, dass digitale Barrierefreiheit erreicht werden kann und eines Tages vielleicht sogar wird. An Universitäten wird Barrierefreiheit zunehmend ernst genommen, und viele Entwicklerinnen und Entwickler machen sich aus eigenem Antrieb Gedanken darüber. Und wenn nun aufgrund gesetzlicher Vorgaben mehr Seiten barrierefrei umgesetzt werden müssen und die Nachfrage nach entsprechender Kompetenz steigt, wird es hoffentlich selbstverständlich werden, barrierefrei zu programmieren – auch ohne gesetzliche Vorgaben.
Über die Autorin
Brigitte Buchsein war zunächst Software-Entwicklerin, Betriebsrätin und Schwerbehindertenvertreterin. Zurzeit ist sie Vikarin – ein Schritt auf dem Weg, um Pfarrerin zu werden. Für digitale Barrierefreiheit engagiert sie sich als Mitglied im Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen und im Gemeinsamen Fachausschuss Umwelt und Verkehr, in der Beratung der Deutschen Bahn und weiterer Verkehrsbetriebe sowie bei Workshops zum Melden digitaler Barrieren.
Brigitte Buchsein ist 56 Jahre alt und lebt in Oberursel im Taunus.
Schwerpunktthema: Digitale Barrierefreiheit
Wer sehbehindert oder blind und im Internet unterwegs ist, wird früher oder später auf digitale Barrieren stoßen. Sie lauern in Form von Schaltern, die für Screenreader nicht nutzbar sind, oder als Captchas, die Menschen mit Sehbeeinträchtigungen vor grafische und somit unlösbare Aufgaben stellen. In unserem Schwerpunkt erklärt ein Experte, wie der Bund gegen Barrieren öffentlicher Stellen vorgeht, und eine Expertin schildert ihre Probleme als Nutzerin.
- Barrierefreiheit wird immer wichtiger - die DBSV-Referentin für digitale Barrierefreiheit gibt einen Überblick
- Eigentlich dürfen öffentliche Stellen nicht mehr sagen: Barrierefreiheit? Irgendwann später! Alexander Pfingstl, IT-Experte bei der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik, prüft, wo es bei Webseiten und Apps öffentlicher Stellen noch hapert.
- Wenn Apps oder Webseiten für blinde und sehbehinderte Nutzerinnen und Nutzer nicht bedienbar sind, ist das lästig bis gravierend. Die ehemalige Software-Entwicklerin Brigitte Buchsein beschriebt, warum sie trotz frustrierender Erfahrungen optimistisch in die digitale Zukunft blickt.
- Beratung stärker nachgefragt: Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat 2024 verstärkt zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und zur digitalen Barrierefreiheit beraten