Welche Grundlagen für digitale Barrierefreiheit öffentlicher Stellen gibt es? Welche Anforderungen müssen Angebote wie die Ausweis-App oder die Website der Deutschen Rentenversicherung Bund erfüllen? Und welche Gründe gibt es, dass noch immer nicht alle Internetseiten und Apps öffentlicher Stellen barrierefrei sind? Fragen, die die DBSV-Referentin für Barrierefreiheit, Jana Mattert, im folgenden Artikel beantwortet.
Öffentliche Stellen sind verpflichtet, ihre Websites und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Darunter fallen die Internetauftritte von Ministerien, Stadtverwaltungen, Hochschulen, die elektronische Patientenakte und vieles mehr. Gemessen wird die Barrierefreiheit anhand eines Anforderungskatalogs, der in einem einheitlichen europäischen Standard zu digitaler Barrierefreiheit festgelegt ist. Websites und Apps müssen danach zum Beispiel folgende Anforderungen erfüllen:
- Texte müssen in einem ausreichenden Kontrastverhältnis zum Texthintergrund stehen, um auch für sehbehinderte Menschen wahrnehmbar zu sein.
- Es muss immer möglich sein, mit der Tastatur aus einem Fenster oder Dialogfeld heraus zu navigieren. Sogenannte Tastaturfallen dürfen nicht vorkommen, damit Websites und Apps bedienbar sind.
- Die Sprache muss von einem Screenreader bestimmt werden können, damit ein Text auf einer Website oder in einer App in korrekter Aussprache und damit verständlich vorgelesen wird.
Alle drei Jahre muss Deutschland wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission über den Stand der digitalen Barrierefreiheit berichten. In Deutschland erstellt die Überwachungsstelle des Bundes für barrierefreie Informationstechnik (BFIT) diesen Bericht.
Der aktuelle BFIT-Bericht wurde im März dieses Jahres veröffentlicht. Das ernüchternde Ergebnis: Wie schon beim letzten Mal erfüllt keine der geprüften Websites und Apps öffentlicher Stellen alle Barrierefreiheitsanforderungen.
Im Internet suchen wir längst nicht mehr nur nach Informationen wie den Öffnungszeiten des nächsten Bürgeramts. Immer mehr alltägliche Aufgaben werden online erledigt: die Steuererklärung über Elster, das Einlösen von Rezepten über die E-Rezept-App, das Ausleihen von Büchern über die Online-Bibliothek und vieles mehr.
Zudem bieten öffentliche Verwaltungen ihre Dienstleistungen zunehmend digital an – dazu sind sie auch gesetzlich verpflichtet. Mit dieser fortschreitenden Digitalisierung werden barrierefreie und nutzungsfreundliche Angebote für alle immer wichtiger.
Träger öffentlicher Gewalt wie Behörden und Krankenkassen sind bereits seit rund zwanzig Jahren zu digitaler Barrierefreiheit ihrer Websites verpflichtet. Mit der EU-Webseitenrichtlinie wurden diese Vorgaben 2018 ausgeweitet: Seither müssen alle öffentlichen Stellen – einschließlich Hochschulen – ihre Websites und zusätzlich ihre Apps barrierefrei gestalten.
Dass das Ziel vollständiger digitaler Barrierefreiheit trotz langjähriger gesetzlicher Vorgaben bis heute nicht erreicht wurde, hat mehrere Gründe: Es fehlen wirksame Sanktionen bei Verstößen. Zudem verfügen relevante Berufsgruppen wie Programmiererinnen und Programmierer oft nicht über die notwendigen Fachkenntnisse, weil sie in ihren Ausbildungen und Studiengängen nichts oder zu wenig von digitaler Barrierefreiheit gehört haben.
Der DBSV setzt sich seit Jahren dafür ein, dass digitale Barrierefreiheit gewährleistet wird. Er fordert zum Beispiel, dass öffentliche Stellen, die Barrieren auf ihren Websites oder in ihren Apps nicht beseitigen, sanktioniert werden.
Neben der politischen Interessenvertretung durch den DBSV können auch Nutzerinnen und Nutzer von Websites und Apps öffentlicher Stellen selbst aktiv werden: Sie können digitale Barrieren melden und deren Beseitigung einfordern. Hierfür gibt es ein verbindliches Verfahren, das öffentliche Stellen zum Handeln verpflichtet und im Zweifel ein Schlichtungsverfahren vorsieht. Dieses kann wiederum die Grundlage für eine Klage sein.
Der DBSV bietet Workshops zum Melden von Barrieren an und organisiert virtuelle Treffen, bei denen gemeinsam Barrieren gemeldet und strategische Schritte geplant werden. Diese Workshops finden auch in Zusammenarbeit mit Landesvereinen statt, um auf Landes- und kommunaler Ebene ebenso Druck aufzubauen.
Trotz aller Defizite ist digitale Barrierefreiheit längst kein Randthema mehr, bei dem lang und breit erklärt werden muss, warum sie notwendig ist. Heute steht vielmehr die Frage im Vordergrund, wie digitale Barrierefreiheit umgesetzt werden kann.
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sind seit dem 28. Juni erstmals auch Wirtschaftsakteure in bestimmten Bereichen zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet. Dadurch hat das Thema noch einmal deutlich an Sichtbarkeit gewonnen. Immer mehr Menschen wird klar: Von barrierefreien Angeboten profitiert eine Gesellschaft insgesamt. Es lohnt sich also dranzubleiben.
Schwerpunktthema: Digitale Barrierefreiheit
Wer sehbehindert oder blind und im Internet unterwegs ist, wird früher oder später auf digitale Barrieren stoßen. Sie lauern in Form von Schaltern, die für Screenreader nicht nutzbar sind, oder als Captchas, die Menschen mit Sehbeeinträchtigungen vor grafische und somit unlösbare Aufgaben stellen. In unserem Schwerpunkt erklärt ein Experte, wie der Bund gegen Barrieren öffentlicher Stellen vorgeht, und eine Expertin schildert ihre Probleme als Nutzerin.
- Barrierefreiheit wird immer wichtiger - die DBSV-Referentin für digitale Barrierefreiheit gibt einen Überblick
- Eigentlich dürfen öffentliche Stellen nicht mehr sagen: Barrierefreiheit? Irgendwann später! Alexander Pfingstl, IT-Experte bei der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik, prüft, wo es bei Webseiten und Apps öffentlicher Stellen noch hapert.
- Wenn Apps oder Webseiten für blinde und sehbehinderte Nutzerinnen und Nutzer nicht bedienbar sind, ist das lästig bis gravierend. Die ehemalige Software-Entwicklerin Brigitte Buchsein beschriebt, warum sie trotz frustrierender Erfahrungen optimistisch in die digitale Zukunft blickt.
- Beratung stärker nachgefragt: Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat 2024 verstärkt zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und zur digitalen Barrierefreiheit beraten