Alisia Neukamm ist Beraterin in einer Stelle der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, die beim Badischen Blinden- und Sehbehindertenverein in Mannheim angesiedelt ist. In der Beratungsstelle und am Telefon berät sie Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Viele möchten wissen, wo sie welche Leistungen beantragen können. Ihre eigene Erfahrung hilft Alisia Neukamm beim Beantworten der Fragen.

Frau Neukamm, für welche Bereiche suchen die Menschen hauptsächlich Rat bei Ihnen?
Die Ratsuchenden kommen mit allen möglichen Anliegen. Meistens gibt es einen konkreten Grund, warum sie kommen, aber im Gespräch zeigt sich oft, dass da noch mehr Fragen sind, die sich erst nach und nach herausstellen.
Die meisten Anfragen betreffen das Thema Arbeit. Auch die finanzielle Sicherung, etwa das Blindengeld, und der Schwerbehindertenausweis sind immer ein Thema. Ganz oft geht es auch einfach um den Umgang mit der Situation. Ich spreche häufig mit Menschen, die chronisch krank sind oder erst im Laufe ihres Lebens eine Behinderung bekommen haben. Dann ist die Frage: Wie geht es weiter? Ebenso gibt es die Frage zum Umgang mit den Behörden, also, welchen Antrag muss ich wie und wo stellen.
Wie hoch ist der Anteil der ratsuchenden Angehörigen unter Ihren Klienten?
Das ist sehr unterschiedlich. Meiner Auswertung zufolge sind unter den Ratsuchenden etwa 30 bis 40 Prozent Angehörige von Betroffenen, die übrigen sind selbst von einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit betroffen.
Das sind aber viele Angehörige, die bei Ihnen Rat suchen. Oder kommen sie gemeinsam mit Betroffenen?
Zum Teil kommen sie gemeinsam in die Beratung oder lassen sich gemeinsam am Telefon beraten. Manche Angehörige kommen auch allein. Beides ist berücksichtigt bei den 30 bis 40 Prozent.
Wie viele Menschen beraten Sie durchschnittlich in der Woche?
Das ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Auch die Beratungen selbst unterscheiden sich stark. Es gibt Beratungen, die nur 20 Minuten dauern, und es gibt längere Beratungen. Daher ist es schwierig, eine konkrete Zahl zu nennen.
Worauf legen Sie in der Beratung Wert?
Für mich ist es wichtig, dass sich die Ratsuchenden wohlfühlen, sich verstanden und akzeptiert fühlen, damit sie sich öffnen und ihre Probleme oder ihr Anliegen mit mir besprechen. Ich möchte ihnen Rat und Orientierung bieten, damit sie wissen, welche Möglichkeiten sie haben, welche Anträge es gibt und wie es für sie weitergehen kann. Sie sollen diesen Dschungel, den es an Leistungen und Möglichkeiten gibt, besser verstehen und für sich die Entscheidung treffen, die am besten passt. Wichtig ist mir auch, dass ich die Ratsuchenden an andere Ansprech-stellen verweisen kann, wenn die EUTB nicht die richtige Stelle ist oder ich bei gewissen Themen nicht tiefgehend beraten kann. Sie sollen nicht ins Leere entlassen werden.
Inwieweit spielt Ihre eigene Sehbehinderung eine Rolle in der Beratung? Öffnen sich die Menschen dadurch eher?
Das Wissen spielt bei Ratsuchenden mit Problemen im Bereich Sehen schon eine Rolle, weil man sich austauschen kann und vielleicht gleiche Erfahrungen gemacht hat. Die Menschen merken: Da sitzt jemand, der mich versteht. Ich bringe die Sehbehinderung aber nicht immer in die Beratung ein, bei manchen Leuten spielt es auch keine Rolle. Wenn ich mit nicht-sehbeeinträchtigen Ratsuchenden jedoch zum Beispiel über einen Schwerbehindertenausweis spreche, teilt man oft ähnliche Erfahrungen. Das ist im Konzept der EUTB auch verankert: Es soll eine Peer-Beratung sein, also eine Beratung von Betroffenen für Betroffene.
Wie oft kommen Menschen mit einer anderen Behinderung als einer, die die Augen betrifft, zu Ihnen?
Im ersten Zeitraum der Bewilligung der EUTB war es so, dass wir eine Schwerpunktstelle für den Bereich Sehen hatten, darum war ein großer Teil der Ratsuchenden seheingeschränkt. Seit 2023 gibt es diesen Schwerpunkt nicht mehr, und wir beraten alle Menschen, die eine Behinderung haben oder davon bedroht sind, sowie Angehörige. Nach wie vor hat aber ein großer Teil Probleme mit den Augen. Ich schätze, dass rund ein Drittel der Ratsuchenden andere Erkrankungen oder Behinderungen hat. Manche haben auch mehrere Beeinträchtigungen und kommen gar nicht wegen der Augen, sondern etwas anderes steht neu im Vordergrund.
Die EUTB hilft auch beim Ausfüllen von Anträgen. Wird häufig um diese Art von Hilfe gebeten, und wenn ja, welche Anträge betrifft das hauptsächlich?
Die EUTB kann beim Ausfüllen der Anträge helfen. In erster Linie geht es aber darum, die Ratsuchenden darin zu bestärken, es selbst zu tun. Meistens wollen die Ratsuchenden erst einmal wissen, welche Anträge es gibt und wo sie sie stellen müssen. Viele Leute haben auch schon einen Teil ausgefüllt, und wir klären dann die offenen Fragen. Ein Thema ist immer wieder der Antrag auf den Schwerbehindertenausweis. Aber auch Anträge für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zum Beispiel bei der Deutschen Rentenversicherung, sind ein Thema oder die Eingliederungshilfe, wenn es um Teilhabeleistungen geht.
Was ist die Fachstelle Teilhabeberatung, und welche Aufgaben hat sie?
Die Beraterinnen und Berater in der Fachstelle Teilhabeberatung sind für uns EUTB-Beraterinnen und -Berater zuständig. Sie sind unsere Ansprechpartner und unterstützen uns in unserer Arbeit. Zum einen können wir mit ihnen fachliche Fragen zu Beratungssituationen klären, zum anderen weitere Fragen, zum Beispiel zur Öffentlichkeitsarbeit oder zur Vernetzung. Die Fachstelle unterstützt uns auch beim fachlichen Austausch und bietet Schulungen an. Am Anfang gibt es eine Grundqualifizierung für EUTB-Beraterinnen und -Berater.
Das Angebot der EUTB wird deutschlandweit gut angenommen. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es irgendwann verstetigt wird und nicht alle paar Jahre neu über das Bestehen der Beratung entschieden wird?
Ich glaube, dass die EUTB ein sehr wichtiges Angebot ist und bestehen bleiben muss. Es ist ja auch gesetzlich verankert in Paragraph 32, Sozialgesetzbuch IX. Aktuell ist es für sieben Jahre bewilligt. Wie es 2029 mit der Finanzierung weitergeht, steht noch in den Sternen. Auch, wie das neue Bewerbungsverfahren und die Vergabe der Stellen sein wird, ist noch unsicher. Ich hoffe sehr, dass das Angebot weiterhin finanziert wird. Es ist wichtig, vielen Ratsuchenden einen Überblick zu bieten in dem Dschungel an Leistungen, die es im Zusammenhang mit Behinderungen gibt.
Was macht Ihnen Freude an Ihrer Arbeit?
Mir macht Freude, dass die Arbeit sehr abwechslungsreich ist. Man hat mit jedem Ratsuchenden neue Aufgaben und manchmal auch Herausforderungen. Kein Fall ist wie der andere. Mir gefällt auch, dass ich den meisten Ratsuchenden weiterhelfen kann bei ihren Anliegen und sie wieder eine Perspektive haben, wie es weitergehen kann.
Schwerpunktthema: EUTB
Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB, ist ein deutschlandweites Beratungsangebot. Alle Menschen mit Behinderung oder zu erwartender Behinderung sowie ihre Angehörigen können sich dort beraten lassen – oft von Beraterinnen und Beratern, die selbst eine Behinderung haben. Das Angebot besteht seit 2018 und kommt gut an. Dennoch ist es noch nicht verstetigt. Jetzt geht es erst einmal bis 2029 weiter.
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