„Meine Arbeit mit Braille“: So heißt die Reihe, mit der wir in diesem Jahr an das 200-jährige Bestehen der Brailleschrift erinnern. Der damals 16-jährige Schüler Louis Braille hat sie 1825 fertigentwickelt. In unserer Reihe berichten Menschen, wie sie beruflich oder ehrenamtlich mit der Brailleschrift arbeiten. Folge 4: Die blista-Mitarbeiterin Wencke Lutz-Gemril berichtet über ihre Arbeit im Zentrum für Barrierefreiheit der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista).

Ich bin Wencke Lutz-Gemril und arbeite im Zentrum für Barrierefreiheit der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) in Marburg. Die Brailleschrift hat mich von Anfang an durch mein Leben begleitet. Von meinem Vater habe ich ein beidseitiges Glaukom geerbt und bin daran im Vorschulalter erblindet. Meine ebenfalls blinden Eltern haben mir viel aus Braillebüchern vorgelesen, und in meinem Zuhause gab es immer zahlreiche Bücher und Zeitschriften in Braille.
In der Blindenschule in Chemnitz habe ich zunächst die Vollschrift und in der vierten Klasse auch die Kurzschrift erlernt. Endlich konnte ich alle Braille-Texte selbst lesen! Auch die Braille-Notenschrift habe ich in der Schule ansatzweise gelernt, später aber nicht mehr angewendet.
Von der siebten Klasse an besuchte ich das Gymnasium der blista in Marburg, wo neben der Kurzschrift auch Acht-Punkt-Braille und die englische Kurzschrift im Unterricht verwendet wurden. Im Mathematikunterricht habe ich immer mit der Punktschriftmaschine geschrieben. Für die Freizeit habe ich mir in der Punktschriftbücherei der blista Bücher geliehen oder mir im Medienzentrum der Schule Texte zu verschiedenen Themen ausdrucken lassen.
Nach dem Abitur habe ich in Marburg „Deutsche Sprache und Literatur“ studiert. Einige der mittelhochdeutschen Texte, die ich dafür benötigte, konnte ich mir bei der blista in Braille ausleihen. Das waren teilweise handgetippte Texte in alter Kurzschrift, die schon lang im Archiv lagen und vermutlich sonst kaum angefragt wurden. Ich habe mich sehr gefreut, Hartmann von Aue in Braille lesen zu können und dort sogar Versangaben zu haben.
Während meines Studiums habe ich ein sechswöchiges Praktikum in der Braille-Druckerei der blista absolviert und bin danach mit dem Team dort in Kontakt geblieben. Nun arbeite ich selbst seit 2016 in der Braille-Druckerei der blista.
Zu meinen Tätigkeiten gehört unter anderem das Übertragen von Texten jedweder Art in Brailleschrift sowie das Korrekturlesen von Braille-Texten. Für den DBSV übertrage ich die Jugendzeitschrift „Die Brücke“ in Braille. Bei den Büchern ist von Kinder- und Jugendbüchern über Sachbücher bis hin zu Gesetzestexten und Erwachsenenliteratur alles dabei. Ich habe bei uns die Braille-Buchproduktion im Blick und weiß, welche Bücher wir gerade bearbeiten. Ich schlage auch selbst Bücher für die Produktion vor.
Außerdem lese ich auch andere Braille-Texte wie beispielsweise Visitenkarten, Flyer, Prüfungsaufgaben, Medikamentenbeschriftungen und Braille-Beschriftungen von Unterrichtsmaterialien Korrektur.
Schreibtisch voller Korrekturabzüge
Mein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich. Es gibt stets völlig verschiedene Texte in Braille zu übertragen, und auf meinem Schreibtisch liegen Korrekturabzüge von Zeitschriften, Büchern und vieles mehr.
Diese Korrekturabzüge, die bereits auf richtigem Braillepapier gedruckt sind, lese oder überprüfe ich. Zwischendurch kontrolliere ich die Druckqualität unserer Braille-Drucker anhand von Ausdrucken. Zur Druckqualität gehören zum Beispiel die richtige Punkthöhe, ein gutes Schriftbild und dass nicht zu viele oder zu wenige Punkte vorhanden sind.
Vertretungsweise erstelle ich auch Braille-Etiketten für unsere Hörbücherei.
Die Übertragung findet mit verschiedenen Braille-Übertragungsprogrammen am Computer statt. Ich weiß nicht, ob es für die Braille-Übertragung irgendwann auch möglich sein wird, Programme, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, zur Unterstützung einzusetzen. Bisher haben wir zwar einige Arbeitsschritte automatisieren können, aber es ist unerlässlich, dass die Ergebnisse von Menschen überprüft und korrigiert werden.
Bei der Korrektur geht es meistens nicht um den Inhalt, sondern um Kürzungs-, Trenn- und Vorlagenfehler sowie um die Formatierung und die Beschreibung von Grafiken. Die Grafiken werden von sehenden Textbearbeitern beschrieben, umfangreichere Tabellen werden aufgelöst und übersichtlicher formatiert. Je nach Inhalt und Kontext werden diese Grafikbeschreibungen mit sehender Assistenz überprüft und besprochen.
Braille-Text für Kinderbücher
Wir adaptieren auch Bilderbücher, also versehen handelsübliche Bilderbücher mit Texten und knappen Bildbeschreibungen in Braille, damit blinde Vorleser sehenden Kindern diese Bilderbücher vorlesen können. Dabei wird Braille-Text, den wir auf Selbstklebefolie drucken, von meiner Kollegin zugeschnitten und an den entsprechenden Stellen in das Originalbuch eingeklebt. Bei umfangreicheren Texten werden die Bücher aufgeschnitten und der Braille-Text wird auf durchsichtiger Folie zwischen die Seiten gelegt, und dann wird das Buch mit einer Spirale neu gebunden.
Zu unserem Buchangebot informiere und berate ich Eltern und andere Interessierte an unseren Ständen beim Sommerfest der blista und auf Hilfsmittelmessen.
Die Brailleschrift lebt, wird weiterentwickelt und gefördert. Unsere Bücher gibt es in Voll- und Kurzschrift, und jetzt kann man die Braille-Bücher sogar per App ausleihen und ohne Versand und Kistenschleppen zu Hause mithilfe der Braillezeile an einem Computer, Tablet oder Smartphone lesen.
In meinem Haus habe ich ein großes Regal mit Braille-Büchern und -Zeitschriften. Neben Medikamenten sind bei uns auch Tees und Gewürze mit Braille beschriftet. Mein Braille-Notizgerät habe ich meistens in Reichweite und eine Braille-Zeitschrift im Rucksack. Seit letztem Jahr trage ich einen Ehering, auf dem in Braille der Vorname meines Mannes steht.
Bei meinen eigenen Kindern habe ich früh mit dem Vorlesen aus Braille-Büchern begonnen, und es freut mich, dass ich ihnen auch jetzt noch vorlesen darf. Sie haben uns schon viele Ideen für die Buchübertragung geliefert. Mein ältester Sohn hat am Welttag der Brailleschrift, am 4. Januar, Geburtstag. Es ist auch der Geburtstag von Louis Braille.
Ich finde die Brailleschrift auch in der Zeit von Sprachausgaben und technischen Hilfsmitteln unersetzlich und hoffe, dass sie auch weiterhin gelehrt, gelernt und gefördert wird.
Schwerpunktthema: Braille 200: Die Braille-Worker
„Die Braille-Worker: Meine Arbeit mit Braille“: So heißt die Reihe, mit der wir in diesem Jahr an das 200-jährige Bestehen der Brailleschrift erinnern. Der damals 16-jährige Schüler Louis Braille hat sie 1825 fertigentwickelt. In unserer Reihe berichten Menschen, wie sie beruflich oder ehrenamtlich mit der Brailleschrift arbeiten.
- Folge 1: "Lernen und lehren mit Humor"
Braille-Lehrkräfte für Erwachsene ausbilden – eine DBSV-Mitarbeiterin erzählt von ihren Erfahrungen mit dem Projekt „Punktum“. - Folge 2: "Braille lernen lohnt sich!"
Vom Lernen, Punzieren und Korrekturlesen erzählt ein Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für barrierefreies Lesen. - Folge 3: "Ohne Braillenoten keine Orientierung"
Warum die Braillenotenschrift für Kirchenmusiker und Musiklehrer Michael Kuhlmann unverzichtbar ist. - Folge 4: "Braille zu Hause und im Beruf"
Wencke Lutz-Gemril erzählt, wie sie am Zentrum für Barrierefreiheit der blista Bücher in Brailleschrift überträgt.