Braille 200: Braille mal 365 gleich Braille 200
Die Braille-Worker: Meine Arbeit mit Braille - Folge 6

· Moritz Wolfart

„Meine Arbeit mit Braille“: So heißt die Reihe, mit der wir in diesem Jahr an das 200-jährige Bestehen der Brailleschrift erinnern. Der damals 16-jährige Schüler Louis Braille hat sie 1825 fertigentwickelt. In unserer Reihe berichten Menschen, wie sie beruflich oder ehrenamtlich mit der Brailleschrift arbeiten. Folge 6: DBSV-Mitarbeiter Moritz Wolfart berichtet, wie er für das Projekt "Braille 200" ein Jahr lang Beiträge zum Thema Brailleschrift sammelt. Unsere Reihe endet mit dieser Folge.

Braille: Das war für mich lange Zeit einfach ein Werkzeug. Natürlich habe ich die Punktschrift in der Schule gelernt, an der Maschine von Anfang an. Aber wie viele andere blinde Menschen habe auch ich mich mit dem Aufkommen digitaler Hilfsmittel zunehmend der Sprachausgabe zugewandt. Braille rückte in den Hintergrund – bis Anfang dieses Jahres.

Mit Beginn des Projekts „Braille 200“, einer Social-Media-Reihe zum 200-jährigen Bestehen der Punktschrift, wurde Braille für mich wieder präsenter – und, zu meiner eigenen Überraschung, faszinierender.

Ich bin heute, rund zehn Monate später, nicht unbedingt ein nostalgischer Braille-Romantiker geworden, aber ich schätze die Schrift auf eine ganz neue Art und Weise: als geniales Konzept, als barrierefreies System mit Geschichte, als Symbol für kreative Lösungen und als bedeutendste Säule der Alphabetisierung blinder Menschen.

Ambitionierte Ziele

Die Idee zur täglichen Beitragsreihe „Braille 200“ entstand in der Braille-Arbeitsgruppe der Europäischen Blindenunion. Das Projekt versteht sich als Sammelstelle für persönliche Geschichten, kreative Projekte und Gedanken rund um die Punktschrift – ganz ohne Wettbewerbscharakter, wie es bei dem ein oder anderen Vorgänger-Projekt der Fall war.

Von Beginn an war klar: Jeden Tag soll ein Beitrag erscheinen. Ein sehr ambitionierter Plan. Als ich einen ersten Blick auf die eingereichten Beiträge warf, wurde mir schlagartig bewusst, wie herausfordernd das werden würde – nicht nur wegen der Menge an Tagen, die es zu füllen galt, sondern auch, weil viele Texte bereits früher veröffentlicht worden waren. Mein Wunsch war es jedoch, neue Perspektiven zu zeigen und frische Beiträge zu sammeln.

Zu sagen, dass wir wenig Beiträge bekommen, wäre stark untertrieben. Aber viele Beiträge erstellen wir auch selbst, zum Beispiel kreative Umsetzungen zu Aktionstagen, Videos mit Braillebezug, Bilder, in denen Braillemuster aus Alltagsgegenständen gelegt werden, oder interessante Funfacts aus Kunst und Kultur.

Außerdem schreibe ich gezielt Personen an, von denen ich mir spannende Impulse erhoffe. Die meisten zeigen sich offen dafür. Man muss aber auch sagen, dass alles auf freiwilliger Basis abläuft und viele das dann auf ihrer Prioritätenliste nach hinten verschieben. Das ist schade, aber verständlich.

Natürlich gibt es Tage, an denen es gefühlt an Beiträgen fehlt oder ich befürchte, dass die Inhalte nicht ausreichen. Und natürlich gibt es auch Momente, in denen ich denke: 365 Beiträge sind eine echte Herausforderung. Doch gerade diese Herausforderung ist überraschenderweise ein nicht zu unterschätzender Antrieb.

In diesem Fall greife ich auf mehrere kleine Listen mit Beiträgen zurück, die auf den ersten und zweiten Blick zu komplex oder zu kompliziert in der Bearbeitung sind. Oder es fehlen wichtige Informationen, die nicht so einfach zu beschaffen sind. Diese Hürden gilt es dann zu überwinden.

Mal besteht ein Beitrag aus einem ausführlichen Text, mal aus einem Bild oder einer kurzen Reflexion. Das Format ist offen, um Vielfalt zu ermöglichen – und auch, um dem Aufwand Rechnung zu tragen.

Die Zeit, die ich in einen Beitrag investiere, variiert stark: Eigene Beiträge benötigen oft mehrere Stunden, je nachdem, ob Text, Bild oder Video erstellt werden müssen. Bei eingesandten Beiträgen kommen Übersetzungen, Formatierungen und grafische Bearbeitung hinzu – auch das ist nicht nebenbei erledigt, und gelegentlich muss ich selbst noch beispielsweise Einleitungen schreiben, Absätze ergänzen oder gezielt Abschnitte der Übersetzungen anpassen.

Rückmeldungen machen Mut

In einer roten Schachtel liegt eine Tafel Schokolade. Darauf ist der Buchstabe "T" in Braille abgedruckt.
Kreativer Umgang mit Brailleschrift auf einer Schokoladentafel  ·  Bild: Moritz Wolfart

Die Aktivität rund um das Projekt ist schwer in Zahlen zu fassen – mal erreichen mich mehrere Beiträge an einem Tag, dann bleibt es wieder länger ruhig. Rückmeldungen bekomme ich gelegentlich direkt, oft aber auch über Umwege. Besonders schön sind Nachrichten von Menschen, die sich für das Projekt bedanken – oder darüber staunen, dass es tatsächlich gelingt, jeden Tag einen Beitrag zu veröffentlichen.

Besonders gefreut hat mich das Feedback eines Kollegen, der mir mehrfach rückgemeldet hat, wie sehr er sich über mein Engagement freut – und dass man für dieses Projekt offenbar genau die richtige Person gefunden habe. Solche Rückmeldungen machen Mut und sind wirklich wertvoll für mich.

Was für mich ein Highlight ist, lässt sich schwer auf einzelne Beiträge beschränken. Vielmehr ist es die Entwicklung, die ich selbst durchmache: Ich lerne Neues, entdecke spannende Details, finde kreative Ansätze. Ich entdecke durch das Projekt Dinge, von denen ich vorher selbst nichts wusste: Beispielsweise, dass die Brailleschrift in der Monstertrainer-Videospielreihe Pokémon bei mehreren Rätseleinlagen einen großen Auftritt hatte. Oder dass auf einem Rihanna-Album Passagen in Braille abgedruckt sind. Wer hätte das gedacht?

Oft begegne ich Menschen, die mit ihren persönlichen Geschichten beeindrucken. Zum Beispiel Kinder, die sich ohne sonderpädagogische Ausbildung die Punktschrift beibringen. Oder ein sehendes Mädchen, das Braille lernte, um weiter mit ihrer erblindeten Freundin Briefe austauschen zu können.

Es gibt Mütter, die Braille lernen, um mit ihren Kindern Briefe zu schreiben. In einem Beitrag ging es um eine erblindende Person, die gern mit Lego gebaut hat, und um Braille zu lernen das Lego-Brailleset verwendet hat. Ebenso beeindrucken mich Menschen, die aktiv im Alter daran gehen, Braille zu lernen. Das sind für mich Highlights.

Manche Beiträge zeigen, wie viel Mut es braucht, Braille neu zu lernen oder anzuwenden. Andere erzählen von Freundschaft, Bildung, von Barrieren und Lösungen. Spannend sind auch die kleinen Skurrilitäten im Alltag, etwa, wenn von Menschen berichtet wird, die noch nie etwas von Brailleschrift gehört haben und wie sie darauf reagieren. Manche setzen sich auch mit den Pros und Kontras zur Nutzung von Braillezeilen oder gedruckten Büchern auseinander und scheuen sich nicht, Probleme beim Umgang mit Braille anzusprechen.

Überwältigende Elfchen-Resonanz

Besonders schön ist es, wenn Beiträge eine Reaktion auslösen und daraus neue Inhalte entstehen – manchmal sogar ein echter Folgebeitrag. Ein Beispiel war unser Aufruf zu Braille-Gedichten im Elfchen-Format. Die Resonanz war überwältigend – und so kreativ, dass eine Nachtschicht nötig wurde, um alle Einsendungen zu würdigen.

Ein Großteil des Braille-Jahres liegt hinter mir, und ich hoffe, dass die verbleibenden Monate noch viele spannende Beiträge bringen. Braille ist ein Thema, das nicht nur geschichtlich bedeutend, sondern auch in der Gegenwart unglaublich vielseitig ist.

Ob es mit dem Projekt nach dem 31. Dezember weitergeht, wissen wir noch nicht. Aber die Idee eines kreativen Sammelbeckens für Braille-Inhalte scheint einigen sehr zu gefallen. Und wer weiß, vielleicht ist „Braille 200“ erst der Anfang zu etwas Neuem oder einem anderen Braille-Projekt?

 

Weitere Informationen und die täglichen Braille-Beiträge sind abrufbar unter www.livingbraille.eu

Schwerpunktthema: Braille 200: Die Braille-Worker

„Die Braille-Worker: Meine Arbeit mit Braille“: So heißt die Reihe, mit der wir in diesem Jahr an das 200-jährige Bestehen der Brailleschrift erinnern. Der damals 16-jährige Schüler Louis Braille hat sie 1825 fertigentwickelt. In unserer Reihe berichten Menschen, wie sie beruflich oder ehrenamtlich mit der Brailleschrift arbeiten.

  • Folge 1: "Lernen und lehren mit Humor"
    Braille-Lehrkräfte für Erwachsene ausbilden – eine DBSV-Mitarbeiterin erzählt von ihren Erfahrungen mit dem Projekt „Punktum“.
  • Folge 2: "Braille lernen lohnt sich!"
    Vom Lernen, Punzieren und Korrekturlesen erzählt ein Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für barrierefreies Lesen.
  • Folge 3: "Ohne Braillenoten keine Orientierung"
    Warum die Braillenotenschrift für Kirchenmusiker und Musiklehrer Michael Kuhlmann unverzichtbar ist.
  • Folge 4: "Braille zu Hause und im Beruf"
    Wencke Lutz-Gemril erzählt, wie sie am Zentrum für Barrierefreiheit der blista Bücher in Brailleschrift überträgt.
  • Folge 5: "Eine manchmal knifflige Aufgabe"
    Wie die Arbeit des Brailleschriftkomitees der Deutschsprachigen Länder aussieht, verrät Peter Brass

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