Garten: „Im Garten geht’s mir einfach gut“
Interview mit Marion Krause

· Ute Stephanie Mansion

Sie sei ein richtiger Naturmensch, sagt Marion Krause über sich. Vor drei Jahren hat die 63-jährige Kräuter-Expertin den Vorsitz der Fördergemeinschaft des Botanischen Blindengartens Radeberg übernommen. Sie und ein Team gestalten den Garten nun im Sinne seiner Gründerin, Ruth Zacharias, weiter: als eine Anlage, die auf einer Architektur der Düfte beruht und damit Menschen mit geringem oder ohne Sehvermögen die Pflanzen nahebringt.

Eine Frau mit kurzem glatten Haar, Marion Krause, riecht mit geschlossenen Augen an einem Zweig mit kleinen Blättern und einer roten Blüte. Rechts ist eine große Kamelie mit vielen roten Blüten und mittelgroßen Blättern zu sehen.
Bild: Marion Krause

Frau Krause, wenn ich mich ein wenig betrübt fühle, etwa, weil der Tag grau in grau ist, welches Kraut können Sie mir empfehlen, damit sich meine Stimmung aufhellt?

Bei Stimmungen nimmt man eigentlich Johanniskraut. Man muss damit etwas vorsichtig umgehen, denn wenn man es über längere Zeit nimmt, wirkt es phototoxisch. Das heißt, man kann leicht Sonnenbrand bekommen.

Wie entstand bei Ihnen die Freude an Gärten, an der Gartenarbeit und an der Kräuterkunde?

Wir hatten zu Hause einen großen Garten, einen großen Gemüsegarten und eine große Obstbaumwiese. Ich bin schon als Kleinkind mit hineingenommen worden in die Gartenarbeit. Ich habe durch meine Großeltern sehr viel Freude am Garten bekommen. Mein Opa mütterlicherseits hat sich so halbwissenschaftlich mit Pflanzen beschäftigt – er hat uns Kindern viel erklärt über Zusammenhänge in der Natur.

Waren Sie damals schon blind?

Ich habe eine frühkindliche Retinitis pigmentosa, das heißt, ich habe noch nie gut gesehen. Aber eine vage Vorstellung von den Pflanzen und den Gegenständen hatte ich schon.

Berichten Sie uns etwas über den Botanischen Blindengarten Radeberg und welche Bedeutung er in Ihrem Leben hat.

Entstanden ist der Blindengarten 1992, als Ruth Zacharias, die Gründerin des Blindengartens, die Villa in Radeberg mit einem großen Gelände kaufen konnte. Das hatte damals 5.600 Quadratmeter. Der Garten wurde angelegt mit Hinblick auf blinde und sehbehinderte Menschen und vor allem taubblinde Menschen. Mit ihnen hatte Frau Zacharias beruflich als Pastorin des Taubblindendienstes der Evangelischen Kirche in Deutschland viel zu tun.

Der Garten wurde immer größer, inzwischen sind es 22.000 Quadratmeter. Es gibt ein Wegenetz mit 900 Metern Handlauf aus Edelstahl, auf dem in Punktschrift und in Symbolen zum Beispiel das Haus oder der Weg geradeaus oder eine Abzweigung aufgebracht sind. So können sich blinde und taubblinde Menschen am Handlauf orientieren und selbstständig wieder zurück zum Haus finden.

Ich bin 2012 zum ersten Mal in Radeberg gewesen, hatte allerdings schon lange vorher mit Frau Zacharias Kontakt. Ich habe zusammen mit meinem Mann viele Gartenseminare dort besucht und bin so langsam in den Garten hineingewachsen und habe ihn liebgewonnen. Ruth Zacharias hat mich im März 2021 gebeten, den Vorsitz der Fördergemeinschaft des Botanischen Blindengartens zu übernehmen.

Und den haben Sie dann übernommen?

Zunächst zögerlich. Inzwischen bin ich dankbar. Ich habe ein gutes Team um mich. Es macht viel Freude, und man lernt viel. Ich habe inzwischen auch viele Menschen kennengelernt, die Ahnung von Gärten haben, sprich Gartenbauingenieure und Wissenschaftler von der TU Dresden, die uns neue Dinge beibringen und weiterhelfen. Wir entwickeln immer wieder Ideen, wie der Garten weiterentwickelt werden kann. Hinsichtlich des Klimawandels muss man manche Dinge neu überlegen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Man muss sich überlegen, welche Pflanzen die sommerliche Trockenheit überleben, auch im Hinblick auf das wichtigste Thema im Blindengarten: Duft. Die Pflanzen haben alle einen Duft, und die Düfte wiederum harmonieren zusammen. Es gibt Düfte, die umherschweifen, und es gibt Düfte, die man durch Berührung wahrnimmt. In die Düfte von kleineren Blüten muss man sich „einriechen“. Den Begriff hat Ruth Zacharias geprägt, er bedeutet: nicht an der Pflanze schnüffeln, sondern den Duft einriechen.

Ein gepflasterter Weg führt durch runde Hochbeete. In ihnen wächst unter anderem Lavendel. Im Hintergrund ist ein Gewächshaus. Die Äste eines Baumes ragen von oben in das Bild.
Botanischer Blindengarten Radeberg · Botanischer Blindengarten Radeberg/Almut Dietze
Im Blindengarten Radebeg wachsen gelb leuchtende Blumen. In anderen, runden Hochbeeten wachsen weitere Pflanzen. Im Hintergrund steht ein großes Haus mit roten Schindeln.
Botanischer Blindengarten Radeberg · Botanischer Blindengarten Radeberg/Frank Hasse

Sie haben auch mal von einer Architektur der Düfte gesprochen.

Auch diesen Begriff hat Ruth Zacharias geprägt: Harmonie der Düfte durch die Architektur der Düfte. Sie hat den Garten so angelegt, dass die Düfte harmonieren und es so praktisch zu einer Architektur kommt.

2019 wurde das neue Dufthaus gebaut. Wir haben eine Sammlung von rund 50 Kamelien, davon 40 duftende, und ein paar Exoten, die über den Winter im Dufthaus stehen. Die Kamelien blühen von Dezember bis März. Die Hauptblüte ist im März, das ist wunderbar. Man spricht auch von den Kamelien als die Rosen der Blinden. Der Duft erfüllt das ganze Haus.

Sie wohnen in der Nähe von Ulm. Wie oft sind Sie in Radeberg und können mit Hand anlegen oder mitgestalten?

Mein Mann und ich sind fünf- bis sechsmal im Jahr mindestens eine Woche lang in Radeberg. Mit dem Gärtnermeister und mit der Gartenbau-Ingenieurin überlegen wir: Wie können wir was gestalten, was verändern, und was muss getan werden? Der Garten muss jetzt neu beschildert werden, weil die Pflanzenschilder im Laufe der Jahre verwittert sind. Da es teuer wäre, die Schilder zu kaufen, werden wir eine Graviermaschine kaufen und die Schilder selbst machen. Die Schilder sehen aus wie ein Hausdach: Vorne ist die Schwarzschrift, hinten die Punktschrift mit dem deutschen Namen und dem botanischen Namen.

Kann jeder den Blindengarten in Radeberg besuchen?

Im Prinzip ja – zu bestimmten Öffnungszeiten, weil auf dem Gelände viele taubblinde Menschen unterwegs sind. Sie sollen ungestört durch den Garten gehen können. Es gibt Führungen, Gruppenführungen, und man kann sich auch einzeln von den Gärtnern des Taubblindendienstes beraten lassen. Blinde oder sehbehinderte Menschen, die Fragen zu bestimmten Pflanzen oder zur Gestaltung ihres Balkons oder Gartens haben, können die Gärtner auch anrufen. Es gibt auch Gartenseminare für blinde Gartenfreunde.

Was haben Sie von Ruth Zacharias gelernt?

Von ihr habe ich viel gelernt. Das Thema Duftpflanzen war mir vorher in dem Sinn kein Begriff. Ich wusste: Eine Rose riecht gut, Flieder auch, aber die Vielfalt der Duftpflanzen war mir nicht bewusst. Ruth Zacharias hat auch das Buch geschrieben „Duft ist Farbe“. Dieses Thema hat sie mir nahegelegt, und das war toll.

Auch die Ausdauer, die Geduld habe ich von ihr gelernt. Ebenso das Wahrnehmen von Pflanzen und die Liebe zu ihnen blinden und taubblinden Menschen beizubringen. Und wenn sie nur eine einzelne Topfpflanze im Zimmer oder auf dem Balkon haben.

Ruth Zacharias hat mir auch gezeigt, dass es wichtig ist, den Garten für blinde und taubblinde Menschen zu denken. Oft waren ja solche Blindengärten so angelegt, dass sie optisch schön sind. Sie wurden aber nicht von blinden Menschen gestaltet. Wir versuchen jetzt, das so weiterzudenken, wie wir es von ihr „ererbt“ haben.

Was kann ein Garten Menschen lehren?

Im Garten kann man sehr viel lernen. Man kann Geduld lernen, man kann Ruhe finden, man kann zu sich selbst finden. Die unterschiedlichen Jahreszeiten erleben und wie die Natur sich verändert. Und wie so eine Pflanze wächst, wie sie sich entwickelt vom Keimblatt bis zur Blüte. Man ist einfach ein anderer Mensch, wenn man die Hände auch mal in der Erde hat.

Haben Sie persönlich etwas für ihr Leben gelernt durch die Gartenarbeit?

Wenn ich im Garten bin, bin ich fröhlich. Da geht‘s mir einfach gut, und ich bin entspannt. Ich bin auch viel im Wald unterwegs. Ich bin einfach ein richtiger Naturmensch, bin gern draußen und genieße es, nehme die Sonne wahr oder auch mal den Regen oder im Herbst den kalten Wind. Dann komme ich nach Hause und genieße einen schönen Tee – von Kräutern, die ich im Sommer getrocknet habe.

Sie kennen auch ein schönes Zitat zum Thema Garten.

Ja. Es lautet: Wer ein Leben lang glücklich sein will, werde Gärtner.

Schwerpunktthema: Garten

„Düfte sind wie Seelen der Blumen; man kann sie fühlen.“ Das Zitat des französischen Gelehrten Joseph Joubert drückt aus, was im Botanischen Blindengarten Radeberg gelebt wird. In diesen und andere Gärten schnuppern die „Sichtweisen“ hinein. Denn nicht nur für die Augen können Gärten eine Pracht sein, sondern auch für die Nase und die Hände, unter deren Arbeit sie gedeihen.

  • "Im Garten geht's mir einfach gut", sagt Kräuter-Expertin Marion Krause. Wie sie mit einem Team den Botanischen Blindengarten Radeberg nach einer Architektur der Düfte weiterentwickelt.
  • Die sehbehinderte Selda Arslantekin findet ihr "Gartenglück dank Assistenz". Gemeinsam mit ihrer Assistentin Figen Bozoglu verwandelt sie zwei verwilderte Grundstücke in ertragreiche Nutzgärten.
  • Früchte, Kräuter und einen Springbrunnen hat Rainer Heim auf seinem Balkongarten. Für ihn "ein Paradies auf kleinstem Raum". Er gibt Tipps für seheingeschränkte Gärtnerinnen und Gärtner.
  • In welchen Botanischen Gärten blinde und sehbehinderte Menschen Führungen bekommen und "Schnuppern, fühlen und probieren" dürfen, hat die Sichtweisen-Redaktion zusammengestellt.

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