Braille 200: Best of living braille im Februar
Living Braille: Highlights im Februar

Brailleschrift lebt! 200 Jahre nach ihrer Erfindung nutzen Menschen weltweit sie im Alltag und in der Kunst. Anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Brailleschrift sammelt die Europäische Blindenunion zusammen mit dem DBSV 365 Beiträge zum Thema Braille. Jeden Tag wird ein Beitrag im Braille200-Newsletter und auf livingbraille.eu veröffentlicht. Die Geschichten, Spiele, Bilder und Videos mit und über die Punktschrift sind vielfältig – sie kommen von Menschen mit und ohne Seheinschränkung aus ganz Europa. Drei dieser Beiträge aus dem Februar werden nachfolgend vorgestellt.

Schule spielen, fürs Leben lernen!

Die Hände eines Mädchens und einer Lehrerin an einem Braille-Board zum Lernen des Alphabets. Sie ertasten die Erhebungen. Beide tragen gemusterte Oberteile und haben lackierte Fingernägel.
Bild: Adobe Express

Eine Geschichte aus dem Leben von Julia Vasilyeva, 41 Jahre alt, aus einer Stadt in der Oblast Moskau in Russland. Sie wurde blind geboren und lernte Braille, indem sie „Schule“ mit ihrer Schwester spielte.

Mein Name ist Julia. Dies ist meine Geschichte darüber, wie ich die Brailleschrift gelernt habe, indem ich mit meiner Schwester Schule spielte. Meine Schwester heißt Swetlana. Sie ist drei Jahre älter als ich und ebenfalls blind. Als sie lesen lernte, zog sie es vor, Bücher zu lesen, anstatt mit mir zu spielen. Aber ich wollte unbedingt spielen! Also schlug sie mir im Sommer, bevor ich in die erste Klasse kam, vor, Schule zu spielen. Ich stimmte unter der Bedingung zu, dass wir eine Schulglocke und eine Pause mit Snacks haben würden – genau wie in einer richtigen Schule. Swetlana erzählte mir, dass sie nach mehreren Unterrichtsstunden eine Pause mit Snacks hatten, und ich wollte, dass sie mich jeden Tag, wenn wir Schule spielten, mit Snacks versorgte.  

Also "lieh" sich meine Schwester aus der Schulbibliothek die Lehrbücher für Erstklässler aus. Eigentlich hätte sie sie am Ende des Schuljahres zurückgeben müssen, aber stattdessen nahm sie sie mit nach Hause für die Sommerferien. Keine Sorge – sie gab die Bücher im Herbst zurück, als das neue Schuljahr begann.  

Glocke, Snacks, Punkte

Wir fanden ein Tamburin, das als Schulglocke diente. Meine Schwester begann, mir das Schreiben in Braille mit einer Tafel und einem Griffel beizubringen, und ich fing an zu lernen – Buchstabe für Buchstabe, Silbe für Silbe, Wort für Wort. Dann begannen wir mit dem Lesen. Natürlich vergaßen wir auch die Snacks nicht: Süßigkeiten, Kekse, Saft oder Kompott.  

Ich war ein lebhaftes Kind und langweilte mich schnell. Wenn meine Schwester sich nur für einen Moment von mir abwendete, lief ich weg und versteckte mich. Manchmal versuchte ich, Wörter anhand weniger Buchstaben zu erraten, anstatt sie sorgfältig zu lesen.  

Wenn ich mich zu schlecht benahm, bestrafte mich meine "Hauslehrerin". Zur Strafe musste ich eine ganze Seite aus einem sehr langweiligen Buch lesen, das „Die Kindheit von Wolodja Uljanow“ hieß. Es war ein Buch über die Kindheit von Wladimir Lenin. Ich hasste dieses Buch mit ganzem Kinderherzen!  

Indem wir spielten, schafften wir das gesamte erste Schuljahr in nur wenigen Monaten. Am Ende des Sommers konnte ich bereits fließend in Braille lesen und schreiben.  

Damals war ich sieben Jahre alt, meine "Lehrerin" zehn. Wir hatten beide viel Spaß am Spielen.  

Applaus in der Bibliothek

In meiner ersten Schulwoche führte uns unsere Lehrerin durch die Schule. Wir besuchten die Bibliothek. Ich sagte, dass ich bereits Braille lesen könne. Niemand glaubte mir. Ich bestand darauf. Schließlich reichte mir die Bibliothekarin ein Buch und bat mich, den Titel laut vorzulesen. Ich las: „Onkel Toms Hütte“. Einige Kinder begannen zu applaudieren. Die Bibliothekarin schrieb mich sofort in die Bibliothek ein. Ich war das erste Kind in der Klasse, das in der ersten Schulwoche Bibliotheksmitglied wurde. Ich war so stolz auf mich! Meine Mutter und meine Schwester waren auch stolz auf mich.  

In unserer Schule gab es immer zu wenige Bücher in Braille. Meine Schwester und ich liebten es, uns in den Schulferien gegenseitig laut vorzulesen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie glücklich ich war, als unsere Bibliothek in der Oberstufe den ersten Band von Harry Potter in Braille bekam!  

Später brachte meine Schwester auch anderen Menschen Braille bei – neuen Lehrerinnen und Lehrern, die an unsere Blindenschule kamen, Kindern, die mit zehn oder elf Jahren ihr Augenlicht verloren hatten, oder ihren Freundinnen und Freunden an der Universität. Aber ich war ihr erstes „Versuchskaninchen“.  

Als ich in der vierten Klasse war, kam ein neuer Junge in unsere Schule. Er hatte gerade erst sein Augenlicht verloren, und seine Eltern baten meine Schwester, ihm die Brailleschrift beizubringen. Sie war ziemlich streng mit ihm und ließ ihn die Übungen so lange abschreiben und wiederholen, bis er sie richtig beherrschte. Jedes Mal nach dem Unterricht beschwerte er sich bei mir: „Deine Schwester hat mich wieder gequält!“ Seine Eltern bezahlten sie sogar für die Nachhilfe. Das war das erste Geld, das sie jemals verdiente. Sie kaufte davon Süßigkeiten – und natürlich teilte sie sie mit mir.  

Das Leben voll Braille

Was als Spiel begann, als ich sieben Jahre alt war, blieb für immer ein Teil meines Lebens. An der Universität schrieb ich meine Vorlesungsmitschriften in Braille. Dort lernte ich auch mein erstes Braille-Display kennen – das SuperVario. Später bekam ich den Organizer Pronto! 18 V3. Damit lernte ich Hebräisch. Zehn Jahre lang hatte ich ein Focus Blue Display. Jetzt habe ich zu Hause ein Focus-Display der vierten Generation und nutze bei der Arbeit ein Focus-Display der fünften Generation. Braille ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.  

Bevor ich meine Geschichte beende, verrate ich euch noch ein kleines Geheimnis: Als ich etwas älter wurde, habe ich dieses schreckliche Buch über Lenins Kindheit eigenhändig in den Müll geworfen. Und wisst ihr was? Es hat sich so gut angefühlt!

Lernen kann und sollte Spaß machen! Keine langweiligen Bücher!  Das Leben sollte Freude bringen!

Braille für alle

Eine Empfehlung von Moritz Wolfart aus Friedberg in Hessen.

Wie stellt man Sätze in Braille dar? Gibt es eine einfache Möglichkeit, sie zu übersetzen?

Ja! Ich bin jetzt auf eine Lösung gestoßen, die ich euch nicht vorenthalten möchte! Sie eignet sich hervorragend für Menschen, die sich mit Brailleschrift nicht auskennen, aber gerne etwas in Braille darstellen möchten.

Auf der Website "Braille Translator" könnt ihr ganz einfach die gewünschte Sprache auswählen, einen Text eingeben und euch das resultierende Punktemuster als Bild herunterladen. Das funktioniert sogar für eine beachtliche Menge von bis zu 50 Zeilen! Zudem ist für einige Sprachen auch die Kurzschrift verfügbar. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die maschinelle Transkription Fehler enthalten kann.

Der Übersetzer funktioniert in folgenden Sprachen:

  • Tschechisch
  • Englisch
  • Französisch
  • Deutsch
  • Spanisch

Probiert es doch einfach aus! Vielleicht findet ihr noch ganz neue Verwendungsmöglichkeiten für die erstellten Bilder – wie wäre es zum Beispiel mit einer Braille-Tapete oder einem Beitrag für Braille200! Wie das geht? Mehr dazu am Ende dieses Beitrags.

 

Oliv ist das neue Braille

In der Größe eines Backblechs liegt ein helles Brot auf einer Arbeitsplatte. In den Teig sind Oliven eingelassen. Sie zeigen Linien und Ecken. Die Oliven als Punkte ergeben damit das Wort „Braille200“ in Brailleschrift.
"Braille200" in Oliven-Brailleschrift  ·  Bild: DBSV/Moritz Wolfart

Braille200 bäckt ein Olivenbrot

An diesem Wochenende haben wir von Braille 200 uns für euch mächtig ins Zeug gelegt – und der Kunst einen wahrhaft hohen Dienst erwiesen!

Das muss uns erst mal jemand nachmachen! Es ist Kunst, sie ist kontrovers, und das Beste daran: Sie schmeckt fantastisch!

Jetzt fragt ihr euch vielleicht, wie etwas Kontroverses gleichzeitig gut schmecken kann.

Nun, sehet her und staunet!

Auf dem Bild präsentieren wir euch das weltweit erste Braille-Fladenbrot.

Ja! Wir sind nicht länger auf Papier, Braillezeilen oder Dymoband angewiesen – Oliven sind das neue Braille!

Und warum ist es kontrovers?

Nun ja … sagen wir es so: Bei einem Erstversuch geht bekanntlich das ein oder andere ein wenig schief. Der Schriftzug ist möglicherweise nicht ganz so gelungen, wie wir es uns erhofft hatten.

Aber genau das macht es spannend! Ihr habt jetzt die perfekte Gelegenheit, mit eurer Lieblings-KI oder eurem Lieblingsmenschen über dieses Bild zu rätseln.

Falls ihr euch nun inspiriert fühlt, dieses Kunstwerk nachzubacken, haben wir ein paar Tipps für euch:

  • Macht den Teig nicht zu dick – dann können die Oliven nicht so tief einsinken.
  • Und befeuchtet eure Hände mit Wasser, um die Braille-Zeichen besser zu formen.

Braille 200 wünscht euch allen gutes Gelingen und guten Appetit!

Lösung: auf dem Brot steht in Oliven-Brailleschrift: Braille200

Wer selbst Lust bekommen hat, einen kreativen Beitrag zum Braille-Jubiläum einzureichen, findet alle Informationen dazu einen Klick weiter:

Zu allen Infos rund um Braille200

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