EUTB: Beratung auf Augenhöhe

· Lisa Mümmler

Für Menschen mit Behinderungen tauchen immer wieder Fragen auf, zum Beispiel: Welchen Nachteilsausgleich kann ich in Anspruch nehmen? An wen muss ich mich mit einem Antrag wenden? Um Fragen wie diese zu beantworten, gibt es die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung an rund 500 Standorten. Die Beraterinnen und Berater helfen und nennen die richtigen Ansprechstellen. Ein Überblick über dieses Angebot.

Auf einer Couch sitzen eine Frau und ein Mann, beide etwa Anfang 30. Die Frau hat lange helle Haare, trägt eine Brille und Kreolen. Sie erzählt etwas, er sieht sie an. Vor ihnen sitzt ein Berater, von dem nur der Oberkörper von schräg hinten zu sehen ist.
Bild: Pexels/Polina Zimmermann

Eine Behinderung kann eine komplexe Angelegenheit sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand erstmals mit dem Thema in Berührung kommt oder schon lange damit zu tun hat. Während manche sich fragen, woher sie einen Schwerbehindertenausweis bekommen, interessiert es andere, ob für sie eine Arbeitsassistenz in Betracht kommt oder wie sie ihren Alltag selbstbestimmt gestalten können. Eltern möchten wissen, welche Förderungen es für ihre Kinder mit Behinderung gibt. Häufig spielt die Finanzierung der benötigten Unterstützung eine Rolle, und dann wird es für die Betroffen oft kompliziert.

Antworten gibt es unter anderem bei der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB). Sie wurde mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführt und ist seit 2018 für Menschen jeden Alters mit (drohenden) Behinderungen, chronischen Erkrankungen sowie für deren Angehörige da. Das Beratungsangebot ist kostenlos. Grundlage ist Paragraph 32 des neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Niedrigschwellig und barrierefrei

Was verbirgt sich konkret hinter den EUTB-Angeboten, wofür steht „ergänzend“, und was daran ist „unabhängig“?

Bundesweit bieten etwa 500 EUTB-Stellen allgemeine Informationen und individuelle Beratungen an. Diese können telefonisch, per E-Mail oder Video-Call erfolgen, aber auch in der Beratungsstelle oder bei den Ratsuchenden zu Hause. Sie sind niedrigschwellig und barrierefrei. Auch Beratungen in Deutscher Gebärdensprache und Lormen sind möglich.

Beraten wird zu allen Belangen rund um Rehabilitation und Teilhabe. Das ist wichtig, denn mit dem Bundesteilhabegesetz wurde eine wichtige Leistung für Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe, auf neue Füße gestellt: Der jeweils individuelle Bedarf von Menschen mit Behinderung soll mit passgenauen Leistungen gedeckt werden. So soll die Selbstbestimmung gestärkt werden, um ein Leben möglichst nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen führen zu können.

Mit individualisierten Leistungen einher geht aber auch mehr Verantwortung für Menschen mit Behinderung. Sie verfügen in der Regel nicht über (ausreichendes) Fachwissen über ihre sozialrechtlichen Ansprüche und Zuständigkeitsregelungen in unserem komplexen Sozialleistungssystem. Um Augenhöhe herzustellen, muss ihre Position gegenüber den Kostenträgern und Leistungserbringern gestärkt werden. Dabei soll die EUTB helfen.

Alltag, Beruf und Freizeit

Ratsuchende können sich zum Beispiel vor der Beantragung eines Hilfsmittels, Nachteilsausgleichs oder einer Rehabilitationsmaßnahme und auch während des Antragsverfahrens von EUTB-Stellen Unterstützung holen. Auch Anliegen zu Assistenzleistungen im Alltag, im Beruf und in der Freizeit sowie die Beantragung von Blindenhilfe und Pflegeleistungen gehören zum Beratungsangebot. Ebenso vermitteln die Beraterinnen und Berater an spezifische Beratungsstellen, zum Beispiel an Hilfsmittelberatungsstellen, Pflegestützpunkte oder spezielle Ansprechstellen für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende oder Studierende mit Behinderungen.

Der Fokus der Beratungen wird ausschließlich auf die Anliegen der Betroffenen gelegt – ihre Bedürfnisse und Ressourcen sind entscheidend. Um nur die Interessen der ratsuchenden Personen zu unterstützen, sollen EUTB-Angebote unabhängig von Dritten sein, also beispielsweise von Firmen, Leistungserbringern und -trägern. Sie sind jedoch aus organisatorischen Gründen häufig bei Organisationen, zum Beispiel der Selbsthilfe, angesiedelt.

Die EUTB ergänzt die Beratungslandschaft. Das Angebot gibt es also zusätzlich zur weiterhin bestehenden Beratungspflicht der einzelnen Sozialleistungsträger wie Krankenkassen, Arbeitsagenturen oder Träger der Eingliederungshilfe und zu den Angeboten der Selbsthilfe.

Grundsätze der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung sind außerdem „Empowerment“, „Peer Counseling“ und „Eine für alle“. Wer sich beraten lässt, wird nicht nur mit Informationen versorgt, sondern auch befähigt, fundierte Entscheidungen für sich zu treffen, eigene Stärken zu entwickeln und persönliche Ziele für ein selbstbestimmtes Leben zu verfolgen – das ist Empowerment.

Betroffene beraten Betroffene

Was EUTB-Beratende besonders qualifiziert, um diesen Prozess zu begleiten, ist, dass sie häufig ebenfalls von einer Behinderung betroffen sind – direkt oder indirekt über Angehörige. Es handelt sich um das Beratungsmodell „Peer Counseling“, eine Beratung von Betroffenen für Betroffene. Die sogenannten Peers haben eigene Erfahrungen mit Barrieren, Bürokratie, Diskriminierung und dem Alltag mit Behinderung. Das schafft Vertrauen und Verständnis in der Beratung.

Gearbeitet wird behinderungsübergreifend: Nach dem Grundsatz „Eine für alle“ sind EUTB-Stellen nicht auf eine Art von Behinderung spezialisiert. Ratsuchende können jede Beratungsstelle der EUTB deutschlandweit kontaktieren, unabhängig von der vorliegenden Beeinträchtigung und vom eigenen Wohnort.

Für den Fall, dass ein Anliegen spezifische Kompetenzen erfordert, das die EUTB-Beraterinnen und -berater nicht haben, sind die Stellen gut vernetzt und knüpfen entsprechende Kontakte. So kann gesichert werden, dass bei Bedarf zum Beispiel Menschen mit Seheinschränkung einen Peerberater mit Seheinschränkung ansprechen können. Rechtsberatung und Unterstützung bei Gerichtsverfahren bietet die EUTB nicht.

Fachstelle Teilhabeberatung

Unter anderem, um die einzelnen EUTB-Angebote zu unterstützen, untereinander und mit anderen Beratungs-angeboten zu vernetzen sowie fachliche und weiterführende Fragen zu klären, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Fachstelle Teilhabeberatung eingerichtet. Sie bietet außerdem Schulungen für EUTB-Beratende an, um sie für ihre Beratungstätigkeit zu qualifizieren.

Auf der barrierefreien Website der Fachstelle Teilhabeberatung gibt es neben weiteren Informationen eine Suchmaske für EUTB-Angebote. Auch eine App mit dem Titel „Teilhabeberatung“ für iOS und Android ist verfügbar. Damit lassen sich Beratungsangebote der EUTB finden, Termine anfragen und aktuelle Informationen abrufen.

Kontakt zur Fachstelle Teilhabeberatung

  • Telefon: 030 / 2 84 09 - 140 oder - 139
  • E-Mail: fachstelle@teilhabeberatung.de

Schwerpunktthema: EUTB

Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB, ist ein deutschlandweites Beratungsangebot. Alle Menschen mit Behinderung oder zu erwartender Behinderung sowie ihre Angehörigen können sich dort beraten lassen – oft von Beraterinnen und Beratern, die selbst eine Behinderung haben. Das Angebot besteht seit 2018 und kommt gut an. Dennoch ist es noch nicht verstetigt. Jetzt geht es erst einmal bis 2029 weiter.

  • Beratung auf Augenhöhe“ gibt es bei der EUTB. Welche Unterstützungsmöglichkeiten das bundesweite Angebot Menschen mit Behinderung bietet.
  • Da sitzt jemand, der mich versteht“ – das ist Alisia Neukamm. Wie ihre Arbeit als EUTB-Beraterin aussieht und wie ihr eigene Erfahrungen dabei helfen.
  • Wie, von wem und warum die EUTB aufgesucht wird, wurde wissenschaftlich untersucht und ausgewertet. Die Ergebnisse gibt’s in „Zahlen und Fakten“.
  • Para-Yudoka Oliver Upmann sagt: „Ich kann alles, wenn auch anders“. Warum er zur EUTB-Beratung ging und was er dort erfuhr.

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