Eigentlich wollte er ein Gartengrundstück bearbeiten, doch das hätte Rainer Heim vor einige Herausforderungen gestellt, zum Beispiel die, blind dorthin zu gelangen. Darum gestaltete er einen Nutzgarten auf dem Balkon: Mit Früchten, Kräutern für den Tee und einem Springbrunnen. Er erzählt, wie er sich seine grüne Oase schuf, und gibt Tipps für blinde und sehbehinderte Gärtnerinnen und Gärtner.

So richtig zufrieden war ich mit meinem Balkongarten anfangs nicht. Auf zwei mal drei Metern habe ich einiges angepflanzt, vieles wuchs nicht. Gewünscht hätte ich mir eigentlich ein kleines Gartengrundstück. Ich habe gesucht, aber für mich als blinden Menschen ergaben sich einige Herausforderungen. Dazu gehörten zum Beispiel die Entfernung zu Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, zu Wasserquellen und zu Stätten für die Entsorgung von Grüngut. Eine gewisse Mobilität fehlte. Also nahm ich einen weiteren Anlauf mit meinem Balkongarten.
Als erstes kamen Pflanzkübel mit Wasserspeicher her. Die Pflanztröge befüllte ich unten mit Seramis, also Tongranulat. Der Ton zieht das Wasser nach oben und zugleich wird Staunässe verhindert.
Begrenzten Platz optimal nutzen
Da der Platz auf meinem Balkon stark begrenzt ist, habe ich mich für vertikale Hochbeete entschieden. Das sind hölzerne Pflanzkästen, die ich innen mit Frühbeetfolie ausgekleidet habe, damit das Gießwasser das Holz nicht zerstört. Die Pflanzkästen sind stufenförmig übereinander angebracht mit einem Höhenabstand von 30 bis 50 Zentimeter. Darin habe ich Schnittlauch, Petersilie und Erdbeeren gepflanzt.
Am Balkongeländer wachsen zwei Feigenbüsche in großen Töpfen und dienen als Sichtschutz. Sie müssen im Spätherbst oder gleich nach dem Winter ein wenig zurückgeschnitten werden. Im sechsten Jahr konnte ich insgesamt 80 große Feigen ernten. Mein Säulenapfelbaum, der in der Form seinem Namen alle Ehre macht und Äste und Früchte sehr dicht am Stamm trägt, hat mir ebenfalls bereits einige Leckerbissen geschenkt.
Kürzlich habe ich eine Zitronenpflanze gefunden, die keine Dornen hat. Überwintern darf sie in der Wohnung. Falls sie in der kalten Jahreszeit zu blühen beginnt, kann man die Blüten vorsichtig suchen und mit einem Wattestäbchen die anderen Blüten befruchten, da in der Wohnung weder Bienen noch Wind sind. So bilden sich zum Frühling schon ein paar Früchte und sobald die Zitrone raus darf, fängt sie nochmal an zu blühen.
In meinem Balkongarten dürfen Minze, Melisse und Brennnessel für den Tee nicht fehlen. Und ein Tisch, zwei Stühle und ein kleiner Springbrunnen haben auch noch Platz gefunden. Alles in allem genieße ich mein kleines Paradies und freue mich ganz besonders, wenn mich kleine und große Vögel auf dem Balkon besuchen kommen.
Meine drei Tipps für sehbeeinträchtigte Gärtnerinnen und Gärtner
Tipp 1: Wasserstandsanzeiger zum Fühlen
Wer nicht sieht, was der Füllstandsanzeiger am Wasserspeicher anzeigt, kann Folgendes tun: Zuerst wird das transparente Kunststoffende des Füllstandsanzeigers an der Verdickung abgezogen. Das Resultat ist ein Röhrchen aus dem ein dünnes Stäbchen herausschaut. Am Stäbchen unten befindet sich der sogenannte „Schwimmer“. Wenn man nun das Stäbchen auf Röhrchenlänge abschneidet, zeigt es an, wie viel Wasser unten im Speicher ist: Ragt das Stäbchen einen Zentimeter über das Röhrchen hinaus, befindet sich noch ein Zentimeter Wasser im Speicher.
Tipp 2: Das Bäumchen schütteln
Da blinde und sehbehinderte Gärtner und Gärtnerinnen vermehrt darauf angewiesen sind, die Gewächse abzutasten, lohnt es sich, diese zuvor einmal vorsichtig zu schütteln. Das vertreibt manch unliebsames Insekt, das nicht unter den Fingern landen soll.
Tipp 3: Hören, was die Blätter sagen
Zwei- bis dreimal in der Woche sollten die Blätter der Pflanze kontrolliert werden. Durch regelmäßiges Abtasten kann ein Gefühl für den Normalzustand gewonnen werden und schließlich auch dafür, wenn sich etwas verändert hat. Hängende Blätter können auf zu viel Wasser oder Dünger hinweisen, eingerissenes Blattwerk auf Schädlingsbefall. Fehlt der Pflanze dagegen Flüssigkeit, fühlen sich die Blätter rissig oder schlaff an.
Rainer Heim (57) lebt in Weinstadt.
Schwerpunktthema: Garten
„Düfte sind wie Seelen der Blumen; man kann sie fühlen.“ Das Zitat des französischen Gelehrten Joseph Joubert drückt aus, was im Botanischen Blindengarten Radeberg gelebt wird. In diesen und andere Gärten schnuppern die „Sichtweisen“ hinein. Denn nicht nur für die Augen können Gärten eine Pracht sein, sondern auch für die Nase und die Hände, unter deren Arbeit sie gedeihen.
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