Ableismus: „Du gehörst hier nicht hin“

Ableismus zeigt sich auch im Arbeitsleben: Fähigkeiten werden Menschen mit Behinderung abgesprochen, auf der anderen Seite aber die Erfüllung von Aufgaben erwartet, die sie ohne Hilfsmittel kaum leisten können. Auch Karina H. hat erlebt, dass man ihr an einem neuen Arbeitsplatz aufgrund ihrer Blindheit nicht viel zutraute. Obwohl sie zuvor im selben Beruf an anderer Stelle erfolgreich tätig war.

Eine jüngere Frauenhand liegt auf zwei älteren aufeinandergelegten Frauenhänden. Auch Gespräche und Beistand gehören zum Berufsbild der Betreuungsassistentin.
Bild: Pixabay/sabinevanerp

Ich habe im Bereich der Alltagsbegleitung von Senioren gearbeitet – unter anderem habe ich Menschen mit verschiedenen Erkrankungen, die im Alter auftreten können, begleitet: Menschen mit Demenzerkrankungen, Menschen, die an Parkinson erkrankt sind, Menschen, die sehbehindert oder schwerhörig sind, und viele Menschen, die sich aufgrund ihres Alters nicht mehr selbst versorgen konnten und rund um die Uhr Pflege brauchten.

In einer Weiterbildung zur Betreuungsassistentin war ich die erste Teilnehmerin, die vollblind diese Weiterbildung absolviert hat. Zuvor habe ich andere Berufe ausgeübt – ich habe zwei pädagogische Abschlüsse, davon einen Hochschulabschluss. Ehrenamtlich hatte ich mich bereits in einem Seniorenheim engagiert, und man bot mir dann eine Arbeit im stationären Bereich an, die mir viel Freude bereitet hat. Leider musste der kirchliche Träger die Seniorenheime aufgeben, weil es sich aus seiner Sicht nicht mehr rentierte.

Umfeld nicht barrierefrei

Daraufhin bin ich in eine andere Einrichtung gewechselt, wo man sich nicht vorstellen konnte, dass ein blinder Mensch demenzkranke Senioren begleiten kann. Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich mich niemals auf diesen Arbeitgeber eingelassen. Ich sollte in der Tagespflege arbeiten. Dort habe ich starke Diskriminierung erlebt, und man sagte mir auch ganz direkt: „Du gehörst hier nicht hin.“ Ich erwiderte, dass ich einen Arbeitsvertrag hätte, den ich zu erfüllen hätte.

Schließlich hieß es „Wir probieren das mal aus“, aber man hatte kein großes Interesse, das Umfeld für mich barrierefrei zu gestalten. Man hat mich auch nicht dabei unterstützt, Hilfsmittel zu beantragen. Trotzdem bin ich täglich zur Arbeit gegangen, habe mich um die Menschen gekümmert und mir privat Coaching gesucht, weil die Situation unerträglich wurde. Man hat versucht, mich aufgrund meiner Behinderung regelrecht auszutricksen. Zum Beispiel hat man mich, wenn ich irgendwo stand, mit dem Essenswagen beiseite geschubst.

Sehenden Praktikanten oder Kollegen, die ihre Ausbildung zum Krankenpfleger machten, ist die Diskriminierung aufgefallen, etwa, dass hinter meinem Rücken meine Sachen weggeräumt und irgendwo anders hingestellt wurden. Die Auszubildenden haben auch versucht, das Thema anzusprechen. Doch die Leitung der Tagespflege hat immer wieder behauptet, es wäre doch alles in Ordnung, die Schwerbehindertenvertretung bräuchten wir nicht.

Dann ist eine andere Betreuungskraft zum Schwerbehindertenbeauftragten gegangen und hat sich dort beschwert – und zwar, weil sie ausgerechnet mit einer blinden Mitarbeiterin zusammenarbeiten müsste, und das wollte sie nicht, sie sei durch mich benachteiligt. Der Schwerbehindertenbeauftragte hat gesagt, dass ich nun einmal blind sei und der Arbeitsplatz angepasst werden müsse.

Es wurde auch keine Rücksicht auf meinen Blindenführhund genommen. Manchmal verbot man mir sogar, mit dem Hund durchs Haus zu laufen, weil dort Polizeihunde geschult wurden. In dieser Zeit war ich sozusagen in meiner Abteilung eingesperrt.

„Wir möchten keine blinde Kollegin“

Vor einem hellen Hintergrund stehen mehrere rote Spielfiguren beisammen. In einigem Abstand steht alleine eine schwarze Spielfigur.
Bild: Pixabay/Markus Spiske

Im ersten Jahr wurde mir im Mitarbeitergespräch gesagt, ich wäre eine total gute Kollegin, hätte mich total gut eingelebt, würde mich total gut in das Team integrieren. Nach dem zweiten Jahr hieß es, nein, wir möchten keine blinde Kollegin mehr haben. Ich habe gefragt, ob ich charakterliche Schwächen habe, die ich durch eine Therapie oder durch Coaching ändern könnte, und da hieß es, nein, ich wäre eine absolut gut geeignete Betreuungsassistentin, es läge wirklich nur an meiner Behinderung.

Dann kam die Corona-Pandemie. Ich sollte wieder im stationären Bereich arbeiten, weil ich dort ja so gute Erfolge als Betreuungsassistentin gehabt hätte. Das Integrationsamt hat sich das Berufsbild einer Betreuungskraft angeschaut und festgestellt: „Das kann Frau H.“ Es bewilligte darum nur wenig Fördergelder zu meiner Unterstützung, weil ich meinen Arbeitsauftrag trotz der starken Behinderung erfüllen könnte. Dagegen wollte der Geschäftsführer in Widerspruch gehen.

Vor verschlossener Tür

Der Wechsel auf die Station für Demenzkranke klappte jedenfalls nicht, weil dafür nichts vorbereitet war: Der Arbeitsplatz war nicht angepasst, und die Teams waren nicht auf mich eingestellt. Es wurde dann gesagt, wenn ich aus dem Urlaub zurückkäme, würde ich schon merken, wenn ich bei der Tagespflege vor verschlossener Tür stünde; „irgendeine Arbeit“ würde man schon für mich finden. Daraufhin hat mich der Schwerbehindertenbeauftragte zum Anwalt geschickt. Da auch auf juristischem Weg nicht viel erreicht wurde, habe ich letztendlich gekündigt. Jetzt bin ich in einem glücklicheren Arbeitsverhältnis: Ich arbeite als Beraterin in der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung.

Schwerpunktthema Ableismus

Ein noch relativ junger Begriff beschreibt ein altes Phänomen: Die Abwertung von Menschen mit Behinderung aufgrund vermeintlich nicht vorhandener Fähigkeiten. Besonders deutlich offenbart sich das im Arbeitsleben. Doch Ableismus kann auch freundlich daherkommen. Unser Schwerpunkt zeigt die unterschiedlichen Facetten von Ableismus auf.

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