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Orlando erobert das Netz

· Nikolaos Rizidis

Nikolaos Rizidis hat einen Blindenführhund: Orlando. Und er hat sich so oft darüber geärgert, dass Leute Orlando streichelten, wenn er im Einsatz war, dass er in einem Video darüber aufklärte, warum das keine gute Idee ist. Auf Anhieb erreichte er viel mehr Menschen als geahnt. Seitdem informiert er in sozialen Netzwerken über sein Leben als blinder Mann. Eine Sache scheint besonders viele Zuschauerinnen und Zuschauer zu verwundern.

Nikolaos Rizidis hat eine Glatze und einen Schnurrbart. An seiner Seite sitzt sein Blindenführhund Orlando, ein Labrador-Retriever.
Nikolaos Rizidis und Führhund Orlando.  ·  Bild: Nikolaos Rizidis

Mein Name ist Nikolaos Rizidis. In den sozialen Medien bin ich auch bekannt unter meinem Künstlernamen Nikolaos Pegasos. Ich bin 32 Jahre alt und gebürtiger Grieche (daher auch der Künstlername). Meine Augenerkrankung nennt sich Juvenile Makuladegeneration (Morbus Stargardt). Bei mir wurde sie in meinem achten Lebensjahr erkannt. Seit einem Sehsturz im Jahr 2014 bin ich gesetzlich blind. Ein Sehsturz ist eine akute Durchblutungsstörung im Auge. Er kann durch einen Augeninfarkt, also ein Blutgerinnsel im Auge, hervorgerufen werden.

Auf meinen Social-Media-Kanälen – TikTok, YouTube und Instagram – kläre ich über das Leben mit Blindheit und Blindenführhund auf. Ich zeige meinen Alltag als blinde Person, wie ich meine Hobbys Judo und Kraftsport ausübe, koche und weitere ganz alltägliche Dinge mache. Ich erzähle auch davon, wie das Zusammenleben mit meiner sehenden Frau ist. Und vor allem mein Blindenführhund Orlando ist ein großer Star.

Aufklärungsvideo ging viral

Wegen Orlando habe ich Anfang 2021 begonnen, Videos zu machen. Mein Hund wurde zum wiederholten Male im Straßenverkehr von fremden Leuten abgelenkt. Ich merke zu spät, wenn Menschen ihn ungefragt streicheln. Manche locken oder rufen ihn auch, und dann ist er nicht mehr aufmerksam. Die Unwissenheit über den Umgang mit Assistenzhunden hat mich sehr verärgert, und ich wollte das Thema publik machen. Deshalb habe ich ein Video darüber online gestellt. Ich dachte: Selbst wenn ich mit meinem Video nur 20 Menschen erreiche, hätten diese 20 Menschen immerhin etwas gelernt und würden mein Anliegen verbreiten.

Doch viel mehr schauten zu. Eines meiner ersten Videos zum Umgang mit Blindenführhunden ist viral gegangen und hatte über Nacht mehrere zehntausend Aufrufe – das hätte ich niemals gedacht. Mittlerweile habe ich auf der Videoplattform TikTok etwas mehr als 150.000 Abonnenten, auf Instagram 22.000, und auf YouTube folgen mir 70.000 Menschen.

Das Interesse an meinem Führhund Orlando ist geblieben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind begeistert, was er alles leistet und wollen mehr von ihm sehen. Mich erreichen viele Fragen zu den Hörzeichen, die wir nutzen. Sie sind die hörbaren Kommandos für einen Blindenführhund. Ich ergänze sie mit Handzeichen, beispielsweise einem erhobenen Zeigefinger für „Sitz“.

Auf Social Media werden mir jedoch auch zunächst banal erscheinende Fragen gestellt, zum Beispiel: „Wer macht Orlandos Haufen weg?“ Ansonsten fragen meine Zuschauer und Zuschauerinnen oft, was ich noch sehen kann, wie ich mir ein Getränk einschenke oder warum ich einen Fernseher besitze.

Tattoos wecken Interesse

Besonders fragwürdig scheint es zu sein, dass ich mir als blinder Mensch Tattoos stechen lasse, die ich nicht sehe. Das Video dazu wurde oft geliked, also positiv bewertet. Meine Tattoos sind eine griechische Flagge auf der Brust und ein Maori-Tribal-Tattoo auf dem Oberarm. Für mich sind es einfach nur schöne Motive. Tattoos haben mich schon immer fasziniert, auch als ich noch sehen konnte. Ich trage meine Tattoos genauso wie Schmuck oder Kleidung – nicht damit ich sie mir täglich ansehen kann, sondern weil ich sie schön finde.

Insgesamt habe ich eine tolle Community! Zum Glück lese ich selten Hasskommentare, und wenn es doch mal welche gibt, begegne ich ihnen mit viel Humor. Meistens ist es einfach nur Unwissenheit.

Niko und Sarah stehen eng beisammen und lachen in die Kamera. Sarah hat lange, glatte, blonde Haare, Niko hat eine Glatze und einen Drei-Tage-Bart.
Nikolaos Rizidis mit seiner Frau Sarah. · Nikolaos Rizidis
Der schwarze Labrador-Retriever Orlando trägt sein weißes Führgeschirr und zeigt Niko eine Bank an, indem er seine Forderpfoten daraufstellt.
Blindenführhund Orlande bei der Führarbeit. · Nikolaos Rizidis

Ein gemeinsames Hobby

Interessant finden viele auch die Beziehung zu meiner sehenden Frau Sarah. Die Social-Media-Arbeit habe ich von Beginn an gemeinsam mit ihr gemacht. Sie ist für uns beide zu einem großen Hobby geworden. Ich kann mit den Videos aufklären und eine Stimme für andere Menschen sein. Sarah lässt ihrer Kreativität hinter der Kamera freien Lauf. Da auch in den sozialen Medien und in den Bearbeitungs-Apps nicht alles barrierefrei ist, sind wir ein super Team. Sie kann mir dann sehr gut helfen.

Dass unser Hobby mal eine Art Job wird, hätten wir beide nie gedacht und sind sehr froh darüber, gemeinsam daran arbeiten zu können. Die Social-Media-Arbeit lässt sich mit meinem Hauptberuf als pädagogische Fachkraft in dem Inklusionscafé Salamanca gut vereinbaren. Durch unsere Zusammenarbeit ist das Ganze natürlich ein großer Teil unseres Alltags geworden. Die Videos erstellen Sarah und ich in unserer Freizeit, da es eben genau um diese alltäglichen Momente geht, die nicht vorhersehbar sind. Wir beide möchten diese Arbeit nicht mehr missen und haben viel Spaß daran, unsere Erfahrungen und unser Wissen zu teilen. Wir sind ausgesprochen gern in Kontakt mit unserer Community.

Sarah ist mittlerweile in immer mehr Videos zu sehen, weil es viele interessiert, wie eine sehende und eine blinde Person zueinander gefunden haben, wie unsere Beziehung ist und wie wir verschiedene Dinge managen. Wir geben Tipps, erzählen ehrliche Geschichten und klären mit Humor auf.

Videos sollen Brücken bauen

So zeige ich meinen Followern auch alltägliche Barrieren, die mir begegnen und die sehenden Menschen gar nicht bewusst sind. Viele wissen nicht, welches Hindernis beispielsweise Autos und Mülltonnen auf dem Gehweg für mich darstellen können. Auch Bildschirme, die nur über Berührung zu bedienen sind, also Touchscreens, sind eine Barriere, ebenso Bankautomaten ohne Sprachausgabe. Überall, wo ein akustisches Signal fehlt, wird mir eine einfache Nutzung verwehrt.

Mit meinen Videos möchte ich von meiner Seite aus Barrieren abbauen und Brücken in die Gesellschaft bauen. Außerdem möchte ich Menschen ermutigen, ihre Träume und Ziele zu verfolgen und zeige an meinem Beispiel, dass eine Beeinträchtigung keine Barriere sein muss.

Zum YouTube-Kanal @Nikolaos Pegasos

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