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Keine Angst vorm freien Fall

· Manfred Preuschoff

Die Flucht aus der DDR gelang Manfred Preuschoff: Ein „Umweg“ über Amerika führte ihn nach Westdeutschland. Viele schöne Tage verbrachte er mit der Familie, musste jedoch auch Schicksalsschläge verkraften. Heute schult er andere darin, ihr Smartphone zu bedienen, und ist auch sonst sehr aktiv. Mit 82 Jahren flog er zum ersten Mal mit einem Fallschirm – und freut sich schon auf das nächste Mal.

Manfred Preuschoff sitzt an einem Tisch. Er hat kurzes graues Haar und trägt eine dunkle Jacke und ein kariertes Hemd.
Bild: DBSV/Ute Stephanie Mansion

Ich bin 1941 in Berlin geboren. Mein Vater hat damals in Westberlin gearbeitet, im Bezirk Kreuzberg. Gewohnt haben wir in Friedrichshain. Nachdem die Ehe meiner Eltern 1950 in die Brüche ging, ist mein Vater nach Westberlin gezogen und 1952 nach Amerika ausgewandert. Ich lebte weiter mit meiner Mutter in Ostberlin. Mein Vater ist gegangen, ohne sich zu verabschieden, aber wir hatten Briefkontakt, und irgendwann hat er mich nach Amerika eingeladen.

Sobald ich meine Lehre als Fernmeldemechaniker abgeschlossen hatte, bin ich abgehauen. Man konnte zu der Zeit problemlos mit der S-Bahn zwischen Ost- und Westberlin hin- und herfahren. Auch zu Fuß konnte man über einige Grenzübergänge gehen, zum Beispiel über die Oberbaumbrücke.

Nachdem für mich feststand, dass ich nach Amerika auswandern wollte, habe ich alles gründlich geplant, denn wenn man bei Republikflucht erwischt wurde, ging man für längere Zeit in den Knast. Ich wollte so viel wie möglich mitnehmen, hatte also einen Koffer dabei und gab vor, zu meiner Cousine in der Nähe von Potsdam reisen zu wollen. Meinen Job habe ich gekündigt und vorsichtshalber einen Vertrag bei einer anderen Firma in Ostberlin unterschrieben. Wenn man nicht zur Arbeit erschien, kam nämlich jemand aus dem Betrieb, um nach einem zu sehen; das hatte ich vorher schon erlebt. Viele, die abhauen wollten, haben den Fehler gemacht, dass sie sich nur eine Fahrkarte für 20 Pfennig gekauft haben und keine Rückfahrkarte. Ich hatte außer dem Personalausweis keinerlei Papiere mit, auch keine Zeugnisse – es war also nichts Verdächtiges in dem Koffer.

Das war im Juni 1960, und im Oktober war ich schon in Amerika, in Detroit, wo mein Vater lebte.

Zwischenstopp USA

Eines Tages gab es ein Fest beim deutschen Verein. Ich war dort mit meinem Vater und seiner Frau. Ich war inzwischen 20, und habe natürlich Bier getrunken. Da sagte mein Vater, wir würden jetzt nach Hause gehen. Ich wollte aber unbedingt bleiben, es waren auch Freunde von mir da. Jedenfalls hat sich das aufgeschaukelt, und schließlich hat er mir ein paar geknallt. Mit 20 Jahren in der Öffentlichkeit! Da habe ich gesagt: Morgen fahre ich zurück nach Deutschland. Am nächsten Tag hat mich mein Vater geweckt, ist mit mir zum Reisebüro gefahren und hat mir ein Ticket gekauft. Ich hätte mir das wahrscheinlich sonst noch mal überlegt, Das kann man sich nicht vorstellen – wegen so einer Kleinigkeit! Der Streit war übrigens am 13. August 1961 – der Tag des Mauerbaus. Am 17. oder 18. August war ich in Westberlin bei meinem Onkel.

Ich habe mich dann wieder bei Siemens beworben und die haben mich direkt nach Hamburg geschickt. Dadurch bin ich nach Hamburg gekommen. Bei Siemens habe ich von 1961 bis 1967 gearbeitet, dann habe ich angefangen zu wechseln.

Arbeit und Leben in Hamburg

Bei Siemens habe ich meine Frau kennengelernt. Wir haben geheiratet und hatten eine Wohnung, aber ich war immer noch von Berlin aus angestellt. Später war ich bei einer Versicherung im Außendienst tätig; danach habe ich 30 Jahre lang als Pharmareferent gearbeitet.

Ich habe bei der Pharmafirma einigermaßen gut verdient, und wir haben dann eine Eigentumswohnung ein Stück außerhalb von Hamburg gekauft. Ich habe von dort aus Ärzte in verschiedenen Teilen Hamburgs, in Schleswig-Holstein und teilweise Niedersachsen besucht und versucht, sie zu überzeugen, Produkte unserer Firma zu verordnen.

Das habe ich von 1974 bis 2002 gemacht, und von 2003 bis 2009 habe ich noch als Freiberufler für eine andere Pharmafirma gearbeitet. Rentner war ich offiziell schon von 2005 an.

Ein kleiner Pfad führt zwischen Bäumen ohne Unterholz an der Ostseeküste entlang.
Bild: Pixabay/Sven Lachmann

"An der Ostsee ist eigentlich immer was los!"

Meine Tochter war verheiratet und hatte zwei Kinder, aber die Ehe ist schnell nach der Geburt des zweiten Kindes auseinandergegangen. Um etwas für die Kinder und meine Tochter zu tun, haben meine Frau und ich in Bliesdorf, in der Nähe von Grömitz an der Ostsee, zwei Wohnwagen gekauft. Das war 1997, da waren die Mädels fünf und vier Jahre alt. In Bliesdorf waren wir dann immer am Wochenende, im Sommer oder auch im Urlaub. Ab und zu sind wir auch mit den Kindern verreist, waren aber im Großen und Ganzen meistens mit der Familie in den Wohnwagen an der Ostsee. Das Wasser ist da, und man ist in der Natur! Wir haben ja auch sonst auf dem Dorf gewohnt, wo kein städtischer Betrieb ist, allerdings war unser Dorf in der Nähe von Hamburg. In Bliesdorf konnten wir baden, allen möglichen Freizeitbetätigungen nachgehen und Radfahren – an der Ostsee ist eigentlich immer etwas los! Von Ende März bis Mitte Oktober waren wir fast jedes Wochenende da, und das hat Spaß gemacht.

Zwei- oder dreimal sind wir mit den Kindern in die Türkei und nach Dänemark gereist. Die Wohnwagen haben wir 2008 abgegeben und uns eine Ferienwohnung in Sierksdorf, am Hansapark, gekauft. Dann kamen die Probleme mit meinen Augen, eine feuchte Makuladegeneration, also AMD, wurde diagnostiziert. Ende 2009, Anfang 2010, da war ich 68 Jahre alt, bin ich das letzte Mal Auto gefahren. Ich habe das relativ schnell aufgegeben, das war für mich kein Problem, weil ich zu dem Zeitpunkt ja nicht mehr berufstätig war. Wenn das mit den Augen nicht gekommen wäre, hätten wir die Ferienwohnung behalten. Und wäre ich jünger gewesen, als das mit den Augen kam, hätte ich meinen Beruf wohl aufgeben müssen.

Erinnerungen einer Familie

Wir hatten eine Jahreskarte und sind fast jeden Tag in den Hansapark gegangen, ich vor allem, weil dort kostenlos Zeitungen auslagen. Für meine Enkelinnen war der Hansapark natürlich eine tolle Sache. Ich bin auch mit allen möglichen Fahrgeschäften mitgefahren, mit einer Art Achterbahn, mit der Wasserbahn, dem Kettenkarussell und auf einer Riesenrutsche. 2012 haben wir die Ferienwohnung dann verkauft, seitdem war ich nicht mehr da.

Die gemeinsamen Familienwochenenden und Urlaube haben uns zu einer guten Gemeinschaft gemacht, auch heute noch. Meine Enkelinnen haben das alles in guter Erinnerung. Die eine sagt immer, ich war ihr Ersatzvati. So lange sie zur Schule gegangen sind, waren sie praktisch jedes Wochenende bei uns. Die eine Enkelin kommt heute noch einmal die Woche, die andere ein- oder zweimal im Monat.

Meine Tochter ist vor zehn Jahren an Multipler Sklerose verstorben, kurz bevor sie 51 wurde. Meine Frau lebte damals noch, sie ist 2021 verstorben. Ja, das war schon hart. Ich weiß noch, wie meine Tochter vom Arzt kam und sagte, sie hätte MS, und dann direkt vor mir zusammengebrochen ist – durch die psychische Belastung.

Harte Diagnosen: AMD und Krebs

Ich habe früher geraucht, aber als die Diagnose AMD kam, schon eine ganze Weile nicht mehr. Probleme hatte ich immer mit Sodbrennen, und 2000 bin ich an Speiseröhrenkrebs erkrankt.

Ein paar Tage vor der Operation, habe ich erkannt, wie das gekommen ist: Wir mussten in Ostberlin Aufbauschichten machen, und da habe ich irgendwann einmal etwas gehoben, und hatte dann ein Gefühl, als wenn mir jemand ein Messer in den Bauch sticht, ein Wahnsinnsschmerz, aber nur einen Augenblick. Seit dieser Zeit hatte ich Sodbrennen. Später gab es die Möglichkeit der Magenspiegelung, und man hat festgestellt, dass ich damals einen Zwerchfellbruch hatte. Das war der Auslöser für das Sodbrennen und später den Speiseröhrenkrebs. Es war eine Riesenoperation, aber ich habe sie ganz gut überstanden.

Vater und Mutter

Meinen Vater habe ich noch öfter gesehen – er war ein paarmal zu Besuch in Deutschland. Er ist relativ früh verstorben, 1972 mit 64.

Meine Mutter war in Ostberlin geblieben, und irgendwann, als sie Rentnerin wurde, durfte sie ja auch reisen. Wir haben sie mal mit in den Urlaub genommen, nach Jugoslawien. Ich habe immer gesagt: Komm rüber! Aber sie meinte, sie bekäme ja ihre Rente und Sozialhilfe. Doch dann ist ein Onkel meiner Mutter in den USA gestorben und hat drei Erben Geld hinterlassen: meiner Mutter, dem Bruder meiner Mutter und einem Cousin. Mein Onkel und der Cousin bekamen das Geld sofort, aber bei meiner Mutter sollte es über die Ostberliner Behörden laufen: zehn Prozent in D-Mark und den Rest in Ost-Geld. Als ich davon erfahren habe, habe ich gesagt: So, und jetzt kommst du in den Westen!

Ich habe mir dann eine Vollmacht von meiner Mutter geben lassen, mich an die Frankfurter Kanzlei, die das Ganze regelte, gewandt und gesagt: Alles stoppen! Keine Auszahlung nach Ostberlin! Und dann hat meine Mutter die Ausreise beantragt, sonst hätte der Osten um die 20.000 West-Mark kassiert. Ich habe gesagt: So, wenn du jetzt nach Hamburg kommst, für 20.000 D-Mark kannst du zigmal eine Wohnung einrichten. 1977 war das, da war das viel Geld. Sie ist tatsächlich nach Hamburg gekommen, hat das Geld abgefordert, relativ schnell eine Wohnung gefunden und sie sich eingerichtet.

Von unten gegen den blauen Himmel aufgenommen: ein bunter, geöffneter Fallschirm, der zwei Personen trägt.
Bild: Pixabay/PipeVasquez Vasquez

Stark in der Selbsthilfe

Ende 2009 wurde, wie gesagt, feuchte Makuladegeneration bei mir diagnostiziert, gegen die ich Spritzen bekam. Leider hat das nichts gebracht, im Gegenteil: Die Sehkraft ist nach einem halben Jahr von 30 auf fünf Prozent heruntergegangen. Später ist alles noch schlimmer geworden, und ich hatte auch eine Netzhautablösung. Aber ich musste ja nicht mehr arbeiten und habe eigentlich nichts Besonderes gemacht.

Auf den Tipp einer Arzthelferin hin bin ich irgendwann zum Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg gekommen. 2014 bin ich da eingetreten und habe einige Angebote mitgemacht, zum Beispiel Gedächtnistraining. Dann hat mir jemand ein iPhone empfohlen und mir ein bisschen Unterricht darin gegeben. Irgendwann meinte er: Du kannst genug, du könntest ja auch eine iPhone-Gruppe leiten. Inzwischen gibt es mehrere Gruppen für iPhone-Schulungen; eine davon leite ich – für Fortgeschrittene. Ich hatte eine Frau in der Schulung, die war um die 90, als sie sich ein iPhone zulegte. Der habe ich das einmal erklärt, und dann hat das gesessen. Ich habe auch eine Wandergruppe gegründet, und wir wandern zweimal im Monat.

Im Aura-Hotel Timmendorfer Strand habe ich schon alle möglichen Sachen mitgemacht. Vergangenen Juni gab es das Angebot „Große weite Welt“ mit sechs Veranstaltungen. Eine davon war Fallschirmspringen. Man bekommt eine Einweisung, wie man sich aus dem Flugzeug rausfallen lässt, denn man springt ja nicht, sondern man lässt sich fallen. Der Fallschirmpilot sitzt hinter mir, wir sind aneinander festgeschnallt, er rutscht ein bisschen nach vorn, und irgendwann fallen wir raus. Die Arme ausgebreitet fällt man waagerecht auf dem Bauch liegend nach unten. Der freie Fall ist ein tolles Gefühl! Als ob man irgendwo hinunterspringt, nur dauert es länger. Angst hatte ich keine. Man trägt eine Schutzbrille. Meine eigene Brille habe ich nicht aufgehabt, die hilft eh nur gegen die Blendeffekte.

Nach einer Minute im freien Fall gibt es einen Ruck, und der Fallschirm geht auf. Letztes Jahr habe ich noch die Felder unter mir erkannt, das könnte ich jetzt nicht mehr. Aber bald mache ich den nächsten Sprung!

Generell bin ich nicht sportlich. Aber als wir in der Große-weite-Welt-Woche im Kletterwald in Travemünde waren, war ich der Älteste – und bin am höchsten von allen geklettert. Ich bin kein ängstlicher Typ. Manche sind begeistert, was ich alles mache. Na ja, ein bisschen prahle ich ja auch damit.

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