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Ich genieße jede Sekunde

· Onur Kinavli

Onur Kinavli spielt leidenschaftlich gern Fußball. Er ist Torwart in einer Mannschaft mit sehenden Spielern. Vor 20 Jahren hat er mit einem Freund den Verein gegründet, in dem er heute noch spielt. Der Sport gibt ihm Kraft, und sein Fußball-Können gibt er auch an junge Spieler weiter. Warum ihm Fußball so viel bedeutet und was für ihn ein Team ausmacht, schildert er im folgenden Beitrag.

Onur Kinavli im Einsatz: Dicht vor dem Tor wehrt er mit erhobenem Arm einen Ball ab; sein Körper ist im Sprung weit nach links gestreckt. Hinter dem Rasenplatz sind Häuser zu sehen.
Bild: DBSV/privat

Ich bin Onur Kinavli, spiele seit über 34 Jahren Fußball, davon ungefähr 20 Jahre als Torwart – und das mit einer großen Sehschwäche. Trotz meiner verschwommenen Sicht vertraue ich auf meine ausgeprägte Intuition. Diese Fähigkeit hat es mir ermöglicht, mich an die Herausforderungen als Torwart anzupassen und erfolgreich Bälle zu halten. Meine Erfahrungen auf dem Feld haben mir gezeigt, dass man trotz Einschränkungen mit der richtigen Einstellung und Übung viel erreichen kann.

Mit der „richtigen“ Einstellung meine ich, positiv zu bleiben, niemals aufzugeben und immer daran zu glauben, etwas zu können. Ich lasse mir von niemandem einreden, dass ich etwas nicht kann.

Meine Teamkollegen haben mich immer unterstützt und nie wegen meiner Sehbehinderung kritisiert. Sie verstehen meine Situation und helfen mir, wo sie können. Diese Unterstützung und Akzeptanz ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Teamdynamik und zeigt, wie wichtig Zusammenhalt und Verständnis in einer Mannschaft sind.

Vorsicht hilft

Ich bin mir der Risiken bewusst, die meine Position als Torwart mit sich bringt. Ein Ball kann jederzeit unerwartet kommen, und es wäre gefährlich, wenn er mein Auge treffen würde. Aber solche Risiken nehme ich in Kauf. Meine Sehbehinderung hat mich gelehrt, in vielen Situationen vorsichtiger zu sein. Diese Vorsicht hilft mir auch auf dem Spielfeld, Gefahren besser einzuschätzen und entsprechend zu reagieren.

Im Jahr 2004, also vor 20 Jahren, haben mein bester Freund Thorsten und ich den Fußballverein „Betonspor“ gegründet. Das war schon sehr spannend für uns beide. Wir haben einfach Trikots besorgt, diese beflocken lassen und sind dann zu den einzelnen Spielern gegangen und haben gesagt: „Ihr spielt jetzt bei Betonspor mit!“ Mit Thorsten und einigen engen Freunden und Familienmitgliedern, darunter Oktay Kadayifci, mein Bruder Okay Kinavli und mein Vater Fikret Kinavli, haben wir den Verein aufgebaut. Wir trainieren jeden Sonntag und legen großen Wert auf Spaß, Respekt und Toleranz. Unsere Erfolge in der Kleinfeld-Liga des Württembergischen Fußballverbands sind ein Beweis für unseren starken Zusammenhalt und unser Engagement für den Sport.

Ein starkes Team

Ein besonders denkwürdiges Erlebnis war ein Turnier, bei dem wir nach torlosen Spielen im Viertel- und Halbfinale ins Neunmeterschießen mussten. Da wir auf einem Kleinfeld mit fünf Feldspielern und einem Torwart spielen, gibt es hier keine Elfmeter, sondern Neunmeter. Die Tore und das Spielfeld sind kleiner als ein Standard-Fußballplatz.

Onur Kinavli steht im Tor und dirigiert per Handzeichen seine Verteidigung. Er trägt ein blaues, langärmliges Trikot.
Bild: DBSV/privat

Ich konnte zahlreiche Neunmeter halten, was für mich persönlich ein großer Erfolg war. Dieses Erlebnis hat nicht nur meine Fähigkeiten als Torwart unter Beweis gestellt, sondern auch die Stärke und Entschlossenheit unseres Teams gezeigt.

Meine Erfahrungen mit Blindenfußball beschränken sich auf das Beobachten von Spielen der türkischen Nationalmannschaft. Obwohl ich selbst nicht aktiv gespielt habe, finde ich es inspirierend und bemerkenswert, wie diese Sportler ihre Herausforderungen meistern. Fußball zu spielen oder Jugendlichen etwas über Fußball beibringen zu können, gibt mir die Kraft, motiviert auf dem Platz zu stehen. Diese Minuten auf dem Spielfeld sind für mich unbeschreiblich schön, und ich genieße jede Sekunde davon.

Fußball verbindet

Neben meiner Leidenschaft für das Fußballspielen trainiere ich auch Jugendfußball und fördere junge Talente. Ich trainiere die U15, also unter 15-Jährige, des TV Nellingen. Das ist eine andere wunderbare Herausforderung für mich: zu beweisen, dass Fußball verbindet, Kraft gibt und für viele auch einfach ein bisschen Befreiung ist.

Ins Fitnessstudio zu gehen, ist ebenfalls ein wichtiger Teil meines Lebens, da es mir hilft, körperlich fit zu bleiben. Meine Sammlung von Nischenparfums ist ein besonderes Hobby, das meine Liebe zum Detail und meine Wertschätzung für einzigartige Düfte widerspiegelt.

Kochen ist für mich eine weitere Leidenschaft, durch die ich meine Kreativität ausdrücken kann. Ich versuche, mich „Fitness-getreu“ zu ernähren, sprich: proteinreich, mit wenig Kohlehydraten und ausgewogen. Am liebsten mag ich die asiatische und die mexikanische Küche.

In diesem Jahr ist wieder Fußball-Europameisterschaft. Ins Stadion werde ich nicht gehen – ich bevorzuge es, die Spiele von zu Hause aus zu verfolgen. Meine Freunde aus der Türkei sind begeisterte Stadionbesucher, aber ich denke, dass die Stadionerfahrung am besten für diejenigen geeignet ist, die aktiv ihre Mannschaften unterstützen wollen. Ich genieße es, die Spiele in einer ruhigeren Umgebung zu verfolgen und mich auf die Details des Spiels zu konzentrieren.

Onur Kinavli (40) lebt in Ostfildern.

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