Nach Mauritius hat mich vor 25 Jahren der Zufall gebracht. Ich arbeitete in Südafrika als Masseurin und Ausbildnerin in einem Kurzentrum. Ein mauritianisches Ehepaar kam zur Behandlung – eine folgenreiche Begegnung!
Eigentlich wollte ich auf Mauritius nur den unterschriebenen Einjahresvertrag erfüllen und dann aufs afrikanische Festland zurückkehren. Im Vorfeld hatte ich bereits mit verschiedenen Lodges in Simbabwe Kontakte geknüpft – ich plante, dort ein Massageausbildungsprojekt aufzubauen.
Es kam anders
Die Liebe lief mir, in Person eines ebenfalls hier gestrandeten Franzosen, über den Weg. Patrick wuchs in Marokko auf, ich in den Schweizer Bergen. Gemeinsam auf fremdem, sprich, neutralem Boden, eine neue Existenz aufzubauen, schien uns in vielerlei Hinsicht einfacher, als uns für das Herkunftsland des einen oder anderen zu entscheiden.
Mauritius ist nicht das Paradies, als das die Tourismusindustrie es gerne verkauft. Armut, Verkehrsstau, Abfalldumping und Missbrauch von Pestiziden zählen genauso zur Realität wie die türkisblauen Lagunen. Trotzdem, die Magie, die dieser Insel innewohnt, überwiegt die problematischen Aspekte, die ein Schwellenland zu bewältigen hat. Ich bin damals wie heute berührt von der Freundlichkeit der Mauritianer. Deren kulturelle Vielfalt fasziniert, ja, bereichert mich.
Die Bevölkerung dieser Insel ist vielschichtig, und es hat beinahe zwei Jahrzehnte gedauert, bis ich deren Komplexität, zumindest im Ansatz, verstanden habe. Es half, Französisch und Englisch zu sprechen. Heute verstehe ich auch die Umgangssprache Kreol und spreche sie mehr oder weniger. Vor allem meine Tätigkeit als Therapeutin und später auch mein soziales Engagement ermöglichten es mir, Brücken zu schlagen und Freundschaften zu schließen.
Meinen Beruf als Masseurin übe ich heute nur noch vereinzelt aus. Mehr lässt meine Schulter leider nicht zu. Acht Jahre lang habe ich junge Mädchen ohne Schulabschluss und blinde Masseure ehrenamtlich aus- und weitergebildet. Einige davon haben in Hotels beziehungsweise auf Kreuzfahrtschiffen eine Anstellung bekommen. Das macht mich sehr glücklich.
Braille und Showdown im Indischen Ozean
Sporadisch unterrichte ich Braille auf einem elektronischen Braille-Notizgerät und versuche, Sponsoren zu finden, um solche Geräte zu finanzieren. Die wenigen blinden Kinder, die es in die Oberstufe schaffen, müssen noch die fünf Kilo schwere Perkins-Punktschriftmaschine mit in den Unterricht schleppen.
Showdown nach Mauritius zu bringen, war ein weiteres Projekt, das ich realisieren wollte. Es gibt heute vier Standorte, die mit Tischen und Zubehör ausgestattet sind, und ich hoffe, dass dieser geniale Sport sich etablieren wird.
Aktuell tauche ich mit Hilfe von Florian Schmitz, einem blinden deutschen Musikingenieur, in die digitale Audioproduktion ein und beginne diesen Monat ein Fernstudium in Tontechnik am Hofa College.
Als ich in Mauritius ankam, hatte ich noch einen etwa fünfprozentigen Sehrest. Bewegung war für mich immer schon ein Bedürfnis. Doch irgendwann wurden Sportarten wie Windsurfen schwierig. Ich sah das Ufer nicht mehr, das kann mit ablandigem Wind schon mal ins Auge gehen.
In Bewegung bleiben: Auf dem Tandem und im Wasser
Erst später, als meine Kinder mich etwas entbehren konnten und sich die fünf Prozent ebenfalls verabschiedet hatten, nahm ich das Schwimmtraining auf. In meiner Jugend bin ich Wettkampf geschwommen, das war noch abrufbar und machte wirklich Spaß. Ein ehemaliger Schwimmer und Sportlehrer begleitete mich. So haben wir auch einzelne Wettkämpfe im offenen Meer bestritten. Leider musste ich wegen einer Schulterverletzung damit aufhören.
Vor vier Jahren kam meine Schwester mit ihrer Familie auf Besuch. Mit im Gepäck Fahrräder und eine ansteckende Begeisterung. In der Folge bestellten wir ein Tandem in Südafrika. Patrick war jedoch oft berufsbedingt außer Landes, und ich habe, meinem Schwager Norbert sei Dank, einen Amateur-Radrennfahrer gefunden. Mit ihm trainiere ich seither, mehr oder weniger seriös, zweimal die Woche, wobei das Erlebnis und der Spaß überwiegen. Einmal pro Jahr nehmen wir an der „Mauritius Cycle Tour“ in der 65-Kilometer-Distanz teil. Dank unseres Einsatzes gibt es seit 2019 eine Tandem-Kategorie.
Was ich hier vermisse, sind die Radwege Europas, die ich auf meinen Velotouren entdecken durfte. Leider verlässt den Mauritianer, einmal hinter dem Lenkrad, seine Höflichkeit. Vorfahrtsrecht, Blinker und die Ein-Meter-Abstandsregel existieren hier nur in den Büchern und machen mauritianische Straßen zum „Wild South“.
Wie Menschen mit Behinderung hierzulande leben
Menschen mit Behinderung haben auf Mauritius keine wirkliche Unterstützung, und es gibt kaum Berufseingliederungsmaßnahmen. Dies, obwohl die Regierung die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben hat. Hinzu kommt, dass in einigen Glaubensrichtungen ein behindertes Kind ein schlechtes Karma bedeutet und es dementsprechend fern von der Öffentlichkeit hält.
Es gibt keine Infrastruktur, die es blinden Menschen ermöglicht, sich risikofrei mit Langstock zu bewegen. Von dieser Freiheit, ja, davon träumen wir hier. Ich genieße sie ganz bewusst, wenn ich ab und zu die Heimat besuche.
Hier auf der Insel werde ich mit einer Ehrfurcht und Höflichkeit behandelt, die man einheimischen Menschen mit Behinderung oft vorenthält. Jedoch sprechen die Verkäuferinnen oder andere Dienstleistende immer zuerst oder ausschließlich mit meiner Begleitperson und bieten mir dafür einen Stuhl an.
Zu unserer Familie gehören unsere Kinder Morgane und Romain, beide haben sie das Nest verlassen und sind jetzt in Frankreich bzw. in der Schweiz. Im November kamen sie für vierzehn Tage nach Hause. Wir hatten uns zwei lange Jahre nicht gesehen, und es tat allen unheimlich gut. Mauritius hatte während der Corona Krise die Grenzen geschlossen, es ist erst jetzt wieder – unter Einhaltung vieler Auflagen – möglich, das Land zu bereisen.
Wir leben etwas außerhalb von Grand Baie, umgeben von Zuckerrohr, Feldern und Wald. Einen wichtigen Platz in unserem Alltag nehmen acht aufgegriffene Hunde und eine Handvoll Hühner ein. Sieben Jahre lang zählte sogar eine Sau zur Familie, sie entkam ihrer Bestimmung als Voodoo-Opfer, doch das ist eine andere Geschichte.
Was mich hier verzaubert, sind, um nur einige Dinge zu nennen, die wunderbaren Düfte der Ylang-Ylang- und Frangipani-Blüten, der Geruch des Meeres, das karamellisierte Aroma des abgefackelten Zuckerrohrs. Und letztlich fühle ich mich über die Musik mit der Seele dieses Volkes verbunden. Leider haben wir dieses Jahr zu spät vom Low-Vision-Songcontest erfahren, doch Mauritius wird in der Zukunft hoffentlich dabei sein.
Verena Aurelle (53) lebt in Petit Raffray, Mauritius.