
Mein Hobby ist das Modeln, das heißt, ich lasse mich von Fotografinnen oder Fotografen fotografieren. Das Ergebnis sind individuelle Portraitaufnahmen von mir, die beide Parteien, also ich sowie die Fotografin oder der Fotograf, auf ihren Kanälen und Websites veröffentlichen dürfen. Dafür werden sogenannte „TFP-Verträge“ geschlossen – TFP steht für „time for pictures“ (zu Deutsch: Zeit für Bilder). Das Model wird in diesem Fall mit den Bildern bezahlt. Beide Parteien bringen sich mit ihrer Leistung ein.
Es gibt unterschiedliche Wege, wie sich Model und Fotografin oder Fotograf finden. Zum Beispiel auf Fotoevents oder sogenannten Fotowalks. Ein Fotowalk ist ein Treffen von Modellen und Fotografinnen und Fotografen, die sich in einem abgesprochenen Rahmen treffen und dann Fotos machen. Man unterhält sich, macht zusammen Bilder und lernt neue Menschen kennen. Solche Treffen sind sehr dynamisch. Von Zeit zu Zeit wandert die Gruppe weiter und probiert neue Spots an der Location aus, also dem Ort, an dem Aufnahmen gemacht werden sollen.
Neue Projekte durch Social Media
Auch über Social Media können Kontakte aufgebaut werden. Es können Suchanfragen nach Modellen oder Fotografen und Fotografinnen aufgegeben werden oder man meldet sich auf solche Anfragen. Durch das Posten der entstandenen Ergebnisse werden wiederum neue Menschen auf einen aufmerksam. So können neue Projekte entstehen.
Das Arbeiten mit unterschiedlichen Fotografinnen und Fotografen ist spannend. Einerseits kenne ich viele schon über Jahre, und es spielt eine soziale Komponente mit. Andererseits hat jeder Fotograf, jede Fotografin einen anderen Stil, sodass immer andere Bilder entstehen. Auch auf Plattformen wie Facebook gibt es viele Gruppen zu der Thematik.
Gelegentlich bezahle ich tolle Fotografinnen und Fotografen selbst für Fotos, weil es einfach spannende Projekte sind. Dazu gehören auch oft tolle Kostüme, die man sich aus dem Fundus leihen kann, und professionelles Make-up. Es kommt auch vor, dass ich mich auf eine Anfrage zum Thema Diversität melde – meist ist es so, dass Medien oder Universitäten authentische Bilder von Menschen mit Behinderung suchen.
Thema, Ort und Outfit finden
Alles fing an, weil ich wissen wollte, wie man sich als Person vor der Kamera fühlt. Ich wollte selbst fotografieren und wissen: Worauf muss ich achten? Was sind Posen, die ich den Models mitteilen kann? Dabei habe ich Gefallen an dem Hobby gefunden und bin vor der Kamera geblieben. Modeln ist für mich mehr als die Produktion visueller Ergebnisse. Es ist für mich ein Prozess, der mit der Suche nach einem Thema beginnt und mit dem Austausch endet. Ich überlege mir ein Thema oder einfach nur einen Ort und die Outfits dazu. Dabei sage ich oft Fotografinnen und Fotografen, was ich mir als Location vorstelle. Soll es eher im Grünen sein oder doch Industrie? Gemeinsam suchen wir den passenden Ort aus.
Solange es Shootings sind, die keine extravaganten und fantasievollen Make-ups benötigen, übernehme ich mein Make-up selbst. Mittlerweile habe ich Übung darin. Ich lasse mich beim Kauf von Make-up vor Ort beraten, sodass ich Töne habe, die zu mir und meiner Haut passen.
Mein Kleiderschrank bietet thematisch nicht viel Spielraum. Ich habe einen alternativen Kleidungsstil und wähle die Shootings auch passend dazu aus. Manchmal frage ich meinen Partner, ob das, was ich mir zusammengestellt habe, auch zusammenpasst. Oder Fotografen und Fotografinnen sagen mir, in welche Richtung es gehen soll.
Ich präsentiere mich vor der Kamera, so wie ich mich wohlfühle: in einem rockigen, alternativen Stil. Diese ersten Schritte, die ebenfalls wichtig für das Ergebnis sind, machen mir Spaß.
Und dann beginnt das eigentliche Shooting. Modeln bedeutet Körperspannung und Körpersprache. Es bedeutet Anstrengung und mit dem, was die Location gibt, zu arbeiten. Am Ende des Tages spüre ich jeden Muskel.
Ich präsentiere mich so, wie ich mich gerade wohlfühle, und ich bewege mich so, wie es mein Bauchgefühl für richtig hält. So wie ich mich in Kombination von Outfit und Location fühle. Das strahle ich, glaube ich, auch vor der Kamera aus. Natürlich speichere ich Bewegungsabläufe und Posen ab, bei denen ich positives Feedback bekommen habe. Dann gibt es Posen, die Fotografinnen und Fotografen mir durch Anweisungen mitteilen.

Bei diesem Hobby stoße ich natürlich auch auf Barrieren. Denn nicht jeder Ort ist für mich erreichbar, etwa aufgrund von fehlenden Anbindungen an den ÖPNV. Beispielsweise sind Shootings im Feld oft dadurch erschwert, dass es in der Nähe keine Haltestelle gibt. Das sind Momente, in denen ich meinen Mann fragen muss, ob er dabei sein kann.
Gemeinsam finden Fotografinnen oder Fotografen und ich aber immer individuelle Lösungen. Sie fragen mich, ob und wie wir etwas umsetzen können und was es für mich barrierefreier macht. Viele machen sich im Vorfeld Gedanken über unser Shooting. Viele sagen auch klar, dass ich einfach sagen soll, was geht und was nicht. Ich finde es wichtig, dass nicht für mich entschieden wird.
Andere Fotografinnen und Fotografen wollen wegen meiner Behinderung nicht mit mir shooten. Sie glauben, sie hätten Verantwortung für mich. Sie vergessen, dass ich eine eigenständige Person und für mich selbst verantwortlich bin.
Während Shootings würde ich oft auch gerne ganz alltägliche Gespräche führen. Wie das Fotografen und Fotografinnen und Models eben tun. Mit vielen kann ich das auch. Andere Gespräche drehen sich jedoch nur um meine Blindheit, und ich fühle mich wie ein „Erklärbär“.
Bilder werden im Netz geteilt
Oft stößt mein Hobby auch auf Unverständnis. Warum etwas tun, wenn man das Ergebnis doch nicht sieht? Aber nach dem Motto könnte ich auch alles stehen und liegen lassen. Dabei bedeutet Modeln für mich mehr, als nach dem Shooting ein paar tolle Bilder zu haben. Es macht Spaß und gibt mir ein gutes Gefühl, vor der Kamera zu stehen, mich mit Menschen zu unterhalten und demselben Hobby nachzugehen.
Nach dem Shooting endet der Prozess nicht. Entweder suchen Fotografinnen oder Fotografen die Bilder aus, die sie bearbeiten wollen oder stellen mir eine Auswahl zur Verfügung. Diese Auswahl tätige ich nicht selbst, sondern gehe sie mit meinem Partner durch. Wir teilen die Bilder auf Social Media und bekommen Feedback dazu. Oft ergeben sich daraus neue Projekte und Gespräche.
Nadine Rokstein (30) lebt in Bottrop.
Mehr von Nadine Rokstein gibt es
- auf Instagram: @stoeckchen_mit_lhon und
- auf ihrem Blog: "Stock und Stein"