Sie hat so viele Hobbys, dass kaum vorstellbar ist, wie sie sich noch einem widmen kann, das viel Zeit, Geduld und Kreativität erfordert: der Bildhauerei. Trotzdem geht Karla Faßbender seit vielen Jahren diesem Hobby nach und hat sich, wie sie sagt, „in den Stein hineingearbeitet“. Eine von ihr gestaltete „Welle im Auslauf“ wurde in Museen gezeigt. Auch mit ihrem Führhund war die Rheinländerin schon künstlerisch unterwegs.

Meine Schwester und ich sind auf einem Bauernhof aufgewachsen und waren immer sehr vertraut mit Tieren. Wir hatten Hühner, Kühe und immer einen Hund. Nach der Volksschule habe ich eine Ausbildung als Wirtschafterin gemacht. Zwei Jahre lang habe ich Praktika in einem Altenheim und in einem Kinderheim absolviert. In dieser Zeit, als ich 16 Jahre alt war, bekam ich eine Netzhautentzündung. Das linke Auge war bald nicht mehr zu retten. Das rechte Auge war immer noch voll sehend. Ein paar Jahre später bekam ich auf diesem Auge eine Chorioretinopathie. Meine Sehkraft sank bis zu meinem 25. Lebensjahr auf fünf Prozent. Damit konnte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Ich habe dann im Berufsförderungswerk Düren die blindentechnische Grundausbildung und eine Ausbildung zur Telefonistin gemacht. Später habe ich lange Zeit in diesem Beruf im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gearbeitet.
Die Ausbildung fiel mir schwer, aber ich sah keine andere Möglichkeit, weil ich ja mit 25 Jahren nicht nichts machen wollte. Ich glaube, viele können nachvollziehen, dass man, wenn die Augenprobleme nicht weggehen, denkt: Oh Gott, ich kann ja gar nichts mehr machen! Lesen konnte ich nicht mehr, und Nähen habe ich bis heute nicht mehr hingekriegt. Ich hatte Angst, allein rauszugehen, irgendetwas zu erforschen und mit dem Stock zu gehen.
Neues Selbstvertrauen und Fingerspitzengefühl
Aber die Zeit in Düren hat mich gestärkt und wieder selbstsicher gemacht. Dort waren auch Menschen, die keinen Sehrest mehr hatten. Sie haben mir geholfen zu lernen hinzuhören und ein gutes Gefühl für die Finger zu bekommen.
Oft bin ich ohne Stock losgezogen, aber dann rannte ich jemanden um oder stach die Leute versehentlich mit dem Regenschirm. Manchmal bin ich frustriert nach Hause gegangen und habe zu meinem Mann gesagt: Die Leute sind heute wieder komisch drauf, die sind nur am Schimpfen. Mein Mann meinte: Ja, wenn du dich nicht kennzeichnest, woher sollen die wissen, dass du schlecht siehst? Irgendwann habe ich es hinbekommen, den Stock auch gern zu nehmen.
Ein Weg aus Alabaster
Im Jahr 2000 erlitt ich infolge einer Herzoperation und einer Blutvergiftung einen kleinen Schlaganfall, der auch das Gleichgewichtszentrum betraf. Ich habe ein Jahr gebraucht, um wieder allein laufen zu können. Ich war wie eingesperrt. Da kam mein Mann auf die Idee, ich könnte doch mal versuchen, „am Stein zu arbeiten“. Von Bildhauerei haben wir nicht gesprochen. Ich war schon immer kreativ, habe ein bisschen mit Ton gearbeitet und ab und zu einen Kurs besucht. Bei uns in Alfter bietet die Alanus-Hochschule im Sommer und im Winter auch Kurse in Bildhauerei an. Zuerst habe ich das abgelehnt, weil ich keine Aschenbecher aus Speckstein oder so machen wollte. Erst als mein Mann vorschlug, er würde mitgehen, habe ich es probiert. Die Dozentin bot mir Speckstein an, doch ich habe gesagt, ich würde gern Alabaster bearbeiten. Das ist ein harter Stein, aber es hat mir Spaß gemacht.
Der Ehrgeiz packte mich, dieses Teil in eine schöne Form zu bringen. Das ist mir auch gelungen. Von da an bin ich immer wieder in die Werkstatt der Bildhauerei gegangen und habe viele schöne Sachen gemacht. Einmal durfte ich bei einer Gemeinschaftsausstellung hier in Alfter mitmachen.
So habe ich mich langsam akribisch in den Stein hineingearbeitet, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ihn in eine schöne Position zu bringen und ihm Ausdruck zu verleihen. Ich mache nur freie Skulpturen und versuche, einen Ausgleich zwischen Konvexem und Konkavem zu schaffen.
Es gab einmal eine Ausschreibung zur „Art Blind“ in Köln, einer Ausstellung mit Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt. Ich habe mich mit zwei, drei Steinen beworben. Es gab hundert Bewerbungen, und nur 15 wurden genommen. Ich hatte nicht viel Hoffnung, dass ich ausstellen durfte, aber ich durfte. Das war 2008.
"Welle im Auslauf" in der Bundeskunsthalle
Über den Verein „Blinde und Kunst“ bin ich zu der großen Wetterausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn 2017 gekommen. Dort habe ich eine von mir gearbeitete Welle im Auslauf aus Alabaster ausgestellt. Sie wurde danach auch im Deutschen Historischen Museum Berlin gezeigt – das fand ich ganz toll. 2024 habe ich eine Einzelausstellung im Haus der Alfterer Geschichte gehabt. Im Oktober darf ich die Welle noch einmal in der Bundeskunsthalle zeigen, in einer Ausstellung, bei der es um Meere geht.
Es ist für mich immer sehr schön, mit dem Stein zu arbeiten und ihn zu gestalten, ihn vielleicht ein bisschen beweglicher zu machen. Ich arbeite mit Alabaster, Speckstein und Selenit. Wenn ich den Beitel am Stein da ansetze, wo nachher geschlagen werden soll, verdrehen die Dozenten immer die Augen, weil sie Angst haben, ich würde mir auf die Finger hauen, aber bis jetzt ist es gut gegangen. Das ist auch nur eine grobe Vorarbeit, ansonsten arbeite ich mit Raspeln.
Die Ideen erfühle ich aus dem Stein. Bevor ich einen kaufe, nehme ich ihn in die Hand und überlege, in welche Form ich ihn bringen könnte. Ich mache nichts Gegenständliches – bis auf die Welle. Ansonsten inspiriert mich der Stein, den ich mir grob gehauen kaufe.
Leider habe ich mir im Januar das rechte Handgelenk gebrochen und alle Bänder der Ellenbogen gerissen. Aber ich will trotzdem im Sommer wieder den Kurs der Sommerakademie besuchen. Die Bildhauerei möchte ich fortführen, solange ich kann. Mein Mann ist vor zwei Jahren verstorben, von daher ist alles nicht mehr so einfach, weil er mich sehr unterstützt hat.
Im Blinden- und Sehbehindertenverein Bonn habe ich immer gern mitgemacht und mache das heute noch, aber weniger. Früher bin ich auch oft an Schulen gegangen und habe den Kindern etwas über mich erzählt und wie man mit dem Stock geht.
Ein bunter Strauß Hobbies
Meine Woche ist gut ausgefüllt: Ich mache Nordic Walking, gehe schwimmen, singe in einem Chor und mache online in einer Hula-Hoop-Gruppe mit. Auch Yoga mache ich – da bin ich die einzige blinde Person, aber die Yogalehrerin erklärt mir alles ganz toll. Mein Mann und ich sind viel gewandert, heute wandere ich viel in einer Gruppe. Auch Hunde waren immer ein Hobby; inzwischen habe ich meinen vierten Blindenführhund.
Mit meinem Führhund Andy habe ich auch mal bei einem Sing- und Tanzstück für Kinder mitgewirkt. Zwei- bis dreimal in der Woche bin ich von Alfter nach Köln gefahren, um zu trainieren und das Stück mit auszuarbeiten. Das war in der Corona-Zeit, und wir haben das Stück vor einem begrenzten Publikum aufgeführt – in Köln, Düsseldorf, Krefeld und Berlin. Das war eine sehr schöne Abwechslung, weil es sonst in dieser Zeit ja manchmal ein bisschen einsam war. Gesungen habe ich für das Stück auch, was ich allein eigentlich nicht wollte, aber ich habe es gemacht, und es ist sehr schön geworden.
Das Theaterspielen war ein Highlight für uns: für meinen Hund, für Arthur, meinen Tänzer, und mich. So haben wir auch in dieser schweren Zeit schöne Sachen gemacht.
Karla Faßbender (75) lebt in Alfter.