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Akzeptiert ohne großes Aufsehen

· Jasmin Ciplak

Jasmin und der Schüler Ayala stehen, beide mit Langstock, auf einer Straße in Kpalimé. Sie hat langes blondes, nach hinten gebundenes Haar und eine Brille mit dunklem Rahmen.
Bild: Privat

Nach dem Abitur stellte sich Jasmin Ciplak die Frage, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollte. Da ihre Sehkraft nachließ, beschloss sie, noch etwas von der Welt zu sehen und meldete sich zum sozialen Freiwilligendienst in Togo. Von den Erfahrungen, die sie in dem Dorf Balanka machte, berichtet sie in ihrem kürzlich erschienenen Buch. Ihren Langstock lernte sie in Togo zu schätzen – und verhalf auch anderen zu dem Hilfsmittel.

Ein Freiwilligendienst mit Sehbeeinträchtigung? Und dann noch in Togo, einem Land in Westafrika? Ja, das ist möglich, und es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Kurz zu mir, ich heiße Jasmin Ciplak, bin 23 Jahre alt, studiere Jura und arbeite nebenbei in einer Kanzlei in Hamburg. Bei mir liegt die Diagnose Zapfen-Stäbchen-Dystrophie vor, und ich sehe aktuell noch vier Prozent auf dem besseren Auge. Doch springen wir ein paar Jahre zurück, zu meinem letzten Schuljahr. Damals nahm mein Sehvermögen noch einmal spürbar ab und zugleich stellte sich die Frage: Wie soll es nach dem Abitur weitergehen? Zum ersten Mal musste ich mich vertieft mit meiner eigenen Sehbeeinträchtigung und möglichen Zukunftsperspektiven auseinandersetzen. Zu diesem Zeitpunkt sah ich noch rund zehn Prozent.

Ich beschloss, noch etwas von der Welt zu sehen, bevor die Sehkraft weiter abnimmt und bewarb mich auf Freiwilligendienste auf dem afrikanischen Kontinent. Dass ich am Ende in einem Bildungszentrum in Togo landete, verdanke ich wohl meinen Französischkenntnissen sowie meiner Arbeit in der Schulmediathek.

Nach der Ankunft in Togo, der Suche nach meinem verschollenen Koffer und der ersten Malaria-Erkrankung, ging es für mich von Kpalimé, einer Großstadt im Süden Togos, nach Balanka, einem Dorf rund eine Tagesreise vom Rest der Freiwilligen entfernt, die in Kpalimé und Umgebung blieben.

Für mich war Balanka ein Glücksgriff. Im Dorf waren die Straßen weniger stark befahren und die Strecken kürzer und einprägsamer als in den Großstädten, in denen die anderen Freiwilligen lebten. Zunächst einmal musste ich lernen, meine vielen Gastgeschwister und meine zwei Gastmütter zu unterscheiden.

Sowohl meine Gastfamilie als auch meine zwei togolesischen Kollegen waren sehr herzlich und mit den richtigen Hilfsmitteln klappte auch die Arbeit im Bildungszentrum ohne größere Probleme.

Bücher verliehen und repariert

Das Bildungszentrum verleiht zu Schulbeginn Schulbücher an die Schülerinnen und Schüler der umliegenden Schulen und bietet mit einer Solaranlage auf dem Dach auch bei Stromausfällen abends eine Möglichkeit, bei Licht seine Hausaufgaben zu erledigen. Meine Kollegen und ich unterstützten bei den Hausaufgaben, verliehen Bücher und reparierten sie. Daneben übten wir mit den jüngeren Kindern lesen und boten Computer-, Mathe- und Englischkurse für die entsprechenden Klassenstufen an. In den Ferien wurde in der Bibliothek gemalt und gebastelt, zudem wurden Bälle zum Spielen vor der Bibliothek verliehen.

In Balanka selbst wird die Sprache „Balanka“ gesprochen, allerdings findet der Unterricht in den Schulen landesweit auf Französisch statt, sodass die Schülerinnen und Schüler sowie die meisten Erwachsenen fließend Französisch sprechen. Ich hatte zwar von meinen Gastgeschwistern einige Wörter und Redewendungen auf „Balanka“ gelernt, primär sprach ich im Alltag jedoch Französisch. Teils kamen auch Studierende vorbei, die sich auf Deutsch mit mir unterhielten, da Deutsch in der Oberstufe unterrichtet wird.

Positive Reaktionen

Angekommen in Togo musste ich jedoch auch realisieren, wie schlecht ich wirklich sehe. Sicherlich kennen viele die Situation, dass man sich in vertrauter Umgebung viel besser zurechtfindet als im Urlaub, wo beispielsweise Haltestellen, Bankfilialen oder Geschäfte andere Erkennungsmerkmale aufweisen.

So war es auch in Togo. Allerdings waren die Menschen in Bezug auf meine Sehbeeinträchtigung viel offener. Meine Kollegen waren an den Hilfsmitteln interessiert und ließen sich gleich einmal beibringen, wie man mit dem Langstock pendelt.

Meine Gastschwester wies mich zwar bei unseren wöchentlichen Joggingrunden auf Schlaglöcher hin – aber erst, nachdem sie bemerkt hatte, dass ich sie teils nicht sah. Es war das erste Mal, dass die Beeinträchtigung einfach akzeptiert wurde und niemand ein großes Aufsehen darum machte.

Diese positiven Reaktionen und das Verständnis meiner Mitmenschen dafür, dass ich abends mal mit Taschenlampe, mal mit Langstock und mal ganz ohne unterwegs war und ich dennoch meine Arbeit verrichten konnte, trugen auch bei mir dazu bei, den Langstock sowie meine Sehbeeinträchtigung zu akzeptieren.

Gewaltsame Ausschreitungen

Als sehbeeinträchtigte Person wollte ich natürlich mehr über das Leben von blinden und sehbeeinträchtigten Personen in Togo herausfinden. Vor allem, da ich zwei Wochen vor der Abreise mit Erdin, also „Mr. BlindLife“, insbesondere bekannt durch TikTok und YouTube, zusammengekommen war. Inzwischen sind wir verheiratet.

Ich hatte zwar in einem Buch über eine Schule für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler in Kpalimé gelesen, sie aber zunächst nicht gefunden. Im Dezember reiste ich mit meiner Gastschwester Samsia in die Hauptstadt Lomé und geriet auf dem Rückweg in gewaltsame Ausschreitungen. Zu dieser Zeit standen Wahlen in Togo kurz bevor, und an diesem Wochenende wurden Demonstrationen der Opposition an mehreren Orten gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Auch wir bekamen im weiteren Verlauf der Reise Tränengas ab, als unser Bus in einer Großstadt hielt, um uns Reisenden zu ermöglichen, sich kurz mit Nahrungsmitteln für die weitere Fahrt einzudecken.

Bevor es zu den Ausschreitungen kam, warteten Samsia und ich jedoch in Kpalimé in einem Bus auf weitere Passagiere. Plötzlich lief direkt vor unserem Busfenster ein junger Mann mit kaputtem Langstock vorbei. Ich stieg aus, sprach ihn an, und wir tauschten Telefonnummern aus. Rund eine Woche später war ich aufgrund eines Seminars erneut in Kpalimé und traf mich mit Ayala, dem jungen Mann, sowie seinen blinden und sehbeeinträchtigten Mitbewohnern. Zudem besuchte ich das Blindenzentrum „Centre des aveugles de Kpalimé“, in dem blinde und sehbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler die ersten sechs Schuljahre in einem Internat verbringen können, bevor sie auf eine Regelschule wechseln und gegebenenfalls von Freiwilligen im Unterricht unterstützt werden. Was mir auffiel, waren die kaputten Langstöcke, denn auch im Blindenzentrum gab es keine tauglichen Langstöcke mehr.

Ein Gruppenbild zeigt togolesische Schülerinnen und Schüler, die Langstöcke erhalten haben und sie nach oben in die Luft halten. Jasmin Ciplak steht links am Rand der Gruppe.
Bild: Privat

Spendenprojekt Langstöcke

Gemeinsam mit Lydia Zoubek, einer blinden Bloggerin, und Erdin entschied ich daraufhin, ein Spendenprojekt zu starten, um die älteren Schülerinnen und Schüler mit neuen Langstöcken auszustatten.

Durch die Unterstützung der Community in Deutschland konnten im März 2019 insgesamt 38 Langstöcke mit Ersatzteilen im Zentrum an die älteren Schülerinnen und Schüler aus den Wohngemeinschaften in Kpalimé übergeben werden. Das Projekt war wahrscheinlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber gerade, wenn die Lehmstraßen während der Regenzeit unebener sind, ist ein funktionsfähiger Langstock eine unglaubliche Erleichterung. So jedenfalls meine Erfahrung.

Mein Kollege machte mich, nachdem ich von unserem Spendenprojekt für ein Blindenzentrum erzählte, auf einen blinden Jungen im Dorf aufmerksam. Nach Rücksprache mit der Leiterin des Vereins „Bildung für Balanka“, den auch das Bildungszentrum gegründet hat, besuchten wir die Großmutter des Jungen, bei der er lebte, und boten ihr an, dass der Junge mit Unterstützung des Vereins die Blindenschule in der nächsten Großstadt besuchen könne. Beide sagten zu, und inzwischen ist der Junge ein sehr guter Schüler geworden.

Jasmin Ciplak (23) lebt in Hamburg.

Über ihren Freiwilligendienst hat sie ein Buch geschrieben: „Mit dem Blindenstock nach Togo – Von Büchern, Saharasand und Mr. BlindLife“ heißt es und ist im Oktober im hansanord Verlag erschienen. Als Taschenbuch kostet es 17 Euro, als E-Book 9,99 Euro. Eine Veröffentlichung als Hörbuch ist geplant. Pro verkauftem Buch geht ein Euro an den Verein „Bildung für Balanka“, der Bildungs- und Umweltprojekte in Balanka fördert.

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