Zwei Jahrhundertwenden, zwei Weltkriege, die Zeit des Wiederaufbaus und der Wiedervereinigung, die Erfindung des Internets und eine Pandemie: Der „Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin gegründet 1874“ hat in den 150 Jahren seines Bestehens die Auswirkungen all dieser Ereignisse erlebt. Der Vorsitzende Joachim Günzel spricht im Jubiläumsjahr über Meilensteine, Jubiläumsfeierlichkeiten und Zukunftsperspektiven.
Der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin gegründet 1874, kurz ABSV, wird in diesem Jahr 150 Jahre alt. Herr Günzel, wie feiert der Verein dieses Jubiläum?
Im Juli hat ein großes Sommerfest für unsere Mitglieder, Freunde und Unterstützer auf dem Gelände unseres Vereinshauses in Berlin Grunewald stattgefunden. Das hat großen Anklang gefunden. Wir waren rund 750 Gäste. Das war ein sehr schönes Fest, bei dem wir viele Gespräche führen konnten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich sehr eingebracht. Das war ein Höhepunkt im Vereinsleben der letzten Jahre.
Am 17. Oktober lädt der ABSV zum Festakt ins Rote Rathaus ein. Wer sind die Gäste, und welche Wirkung erhofft sich der ABSV von den Feierlichkeiten?
Gäste werden namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft Berlins sein, darunter der regierende Bürgermeister Kai Wegner und einige Senatoren und Staatssekretäre sowie Persönlichkeiten aus der Behindertenselbsthilfe. Und, da legen wir großen Wert drauf, die Mitglieder des Verbandsrats des DBSV. Der ABSV erhofft sich dadurch Aufmerksamkeit in den Berliner Medien und vielleicht auch deutschlandweit, damit dieses große Ereignis gebührend dargestellt wird.
Der ABSV ist die älteste Selbsthilfeorganisation blinder und sehbehinderter Menschen in Deutschland. Wie hat er zur Entwicklung der Selbsthilfe beigetragen?
Wichtig war, dass es Menschen gegeben hat – immerhin war das drei Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches – , die den Mut aufgebracht haben zu sagen: Das Geschick der Betroffenen muss von ihnen selbst in die Hand genommen werden. Das war für die damalige Zeit ein großer Schritt, der schlussendlich gelungen ist. Die Selbsthilfe ist mit den Jahrzehnten gewachsen und verstetigt worden. Wenn man einmal überlegt, was in diese Zeit gefallen ist: das Kaiserreich, der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die NS-Diktatur und nicht zuletzt die Wiedervereinigung. Für uns als ABSV ging es darum, gerade bei uns Ost und West zusammenzubringen. Die Selbsthilfe hat sich mit den Jahrzehnten immer weiter professionalisiert. Wir waren einer der ersten Vereine, die eine professionelle Sozialberatung angeboten, ihre Mitglieder in Orientierung und Mobilität geschult und eine professionalisierte Führhundausbildung angeboten haben. Daran sieht man, dass wir Meilensteine gesetzt haben.
Bereits als junger Verein hat der ABSV viel getan für damals blind aus dem Krieg heimgekehrte Soldaten, aber auch für zivilblinde Menschen, besonders im Hinblick auf die Rückkehr ins Berufsleben. Welche wichtigen Errungenschaften hat er im Laufe der Jahrzehnte noch erzielt?
Ganz klar die Wohnungsfürsorge. Wir haben in Berlin Wohnungen gebaut, sodass Betroffene, die nicht so einfach eine Wohnung gefunden haben, schneller an Wohnraum gekommen sind. Man muss unterscheiden zwischen Zivil- und Kriegsblinden. Die Kriegsblinden waren nach dem Ersten Weltkrieg sozial wesentlich bessergestellt. Doch um die Zivilblinden musste sich selbstverständlich auch gekümmert werden.
Ebenso hat der ABSV sehr bei der Berufseingliederung geholfen und dafür gesorgt, dass viele Betroffene in Lohn und Brot gekommen sind. Und schlussendlich auch die Vernetzung untereinander, die nicht gerade einfach war. Die modernen Medien, so wie es sie heute gibt, gab es damals ja noch nicht.
Was will der Verein in Zukunft noch erreichen?
Mein Wunsch wäre, dass der Verein noch lange, lange fortbesteht und dass er sich vor allen Dingen als Selbsthilfeverein weiter etabliert. Das ist in der heutigen Zeit gar nicht leicht. Es gibt immer weniger Menschen, die sich dem Ehrenamt verschreiben. Deswegen ist es wichtig für uns, für Nachwuchs zu sorgen. Denn in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels ist es meines Erachtens von höchster Bedeutung, dass wir an der Selbsthilfe als oberstem Ziel des ABSV festhalten. Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unser Verein auch in Zukunft die zentrale Anlaufstelle für Ratsuchende in Berlin bleibt. Der Fortbestand des ABSV liegt in unserer Hand und in der Verantwortung nachfolgender Generationen.
Was wünschen Sie dem ABSV für die nächsten 150 Jahre?
Ich wünsche unserem Verein, dass er eine starke Stimme in Berlin bleibt und dass es weiterhin genug Menschen gibt, die sich in der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe engagieren.