Auf einem internationalen Gipfel für die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Ländern des Globalen Südens im Mittelpunkt. Das Gipfeltreffen, auf Englisch Global Disability Summit, findet Anfang April in Berlin statt. Was es bewirken kann, erläutert die DBSV-Referentin für Internationales, Merve Sezgin, im Interview.

Deutschland ist am 2. und 3. April dieses Jahres Gastgeber des Global Disability Summit (GDS), übersetzt etwa „Globaler Gipfel für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Die internationale Veranstaltung rückt die Rechte und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen weltweit in den Fokus. Der GDS tagt zum dritten Mal; neben Deutschland gehören Jordanien und die International Disability Alliance zu den Gastgebern. Ort der Zusammenkunft ist Berlin. Organisiert wird der Gipfel hauptsächlich vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Während des Treffens kommen Regierungsvertreterinnen und -vertreter verschiedener Länder, Organisationen von Menschen mit Behinderungen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen.
Die Konferenzsprache ist Englisch; es wird Übersetzungen ins Deutsche und Arabische geben sowie Gebärden- und Schriftdolmetschung, Übersetzung in Leichte Sprache und Audiodeskription, auch in deutsche Sprache.
Die DBSV-Referentin für Internationales, Merve Sezgin, beantwortet im folgenden Interview Fragen zu der Konferenz.
Frau Sezgin, welche Bedeutung hat der Gipfel für die deutsche Inklusionsbewegung einschließlich Selbsthilfeorganisationen?
Der globale Gipfel für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Global Disability Summit) hat eine wichtige Bedeutung für die internationale Inklusionsbewegung und setzt wertvolle Impulse, insbesondere in Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit. Ziel des Treffens ist es, die weltweite Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) entwicklungspolitisch voranzubringen. Für die Selbsthilfe in Deutschland und die Inklusion auf nationaler Ebene sind die direkten Auswirkungen eher begrenzt. Der Schwerpunkt liegt auf der Förderung globaler Partnerschaften, dem Austausch bewährter Praktiken und dem Setzen politischer Verpflichtungen, die insbesondere Länder im Globalen Süden dabei unterstützen sollen, Barrierefreiheit und Teilhabe voranzutreiben.
Für die deutsche Inklusionsbewegung ist der Gipfel eine wertvolle Gelegenheit, internationale Entwicklungen zu beobachten, Netzwerke zu stärken und sich solidarisch mit globalen Anliegen zu zeigen. Der GDS ist weniger ein Instrument für die unmittelbare Umsetzung nationaler Ziele, sondern vielmehr ein wichtiges Forum, um die Prinzipien der UN-BRK global zu verankern und das Bewusstsein für die Situation von Menschen mit Behinderungen weltweit zu schärfen.
Über welche Themen wird diskutiert werden?
Diskutiert werden bei dem Treffen Themen, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen weltweit von Bedeutung sind, zum Beispiel die systematische Einbindung von Selbstvertretungsorganisationen in politische Entscheidungsprozesse, die Verbesserung der Datenerhebung zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und die Entwicklung eines möglichen „Global Disability Fund“, eines Fonds, um die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zu stärken.
Beim GDS handelt es sich um einen fortlaufenden globalen Mechanismus, um konkrete Maßnahmen mit dem Ziel der vollständigen Umsetzung der UN-BRK durch Vereinbarungen zu verstärken. Er bietet Regierungen, internationalen Organisationen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und Organisationen von Menschen mit Behinderungen eine Plattform, um formelle, umsetzbare Verpflichtungen zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen einzugehen. Regierungen und Organisationen werden dazu aufgerufen, konkrete finanzielle und politische Zusagen zu machen, um langfristige Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.
Wenn es schon innerhalb eines Landes wie Deutschland schwierig ist, Barrierefreiheit für die verschiedenen Formen von Behinderung durchzusetzen, von vollständiger Inklusion ganz zu schweigen, wie soll dies dann auf internationaler Ebene funktionieren?
Es stimmt, dass die Durchsetzung von Barrierefreiheit und Inklusion schon auf nationaler Ebene herausfordernd ist. Auf internationaler Ebene kommen als zusätzliche Schwierigkeit unter-schiedliche kulturelle, wirtschaftliche und politische Bedingungen hinzu.
Der Gipfel kann dennoch einen Beitrag leisten und eine Plattform zur Förderung des Erfahrungsaustauschs zwischen Ländern bieten. Dabei können Staaten voneinander lernen, wie erfolgreiche Ansätze zur Barrierefreiheit und Inklusion umgesetzt werden können. Dieser Austausch über praktische Beispiele trägt dazu bei, dass bewährte Lösungen global adaptiert und weiterentwickelt werden.
Ein weiteres Ziel ist es, Verpflichtungen einzufordern. Regierungen und Organisationen werden motiviert, konkrete Ziele und Maßnahmen zur Förderung von Barrierefreiheit und Inklusion zu formulieren und sich öffentlich dazu zu verpflichten. Dadurch sollen Inklusion und Entwicklungszusammenarbeit nicht nur ein abstraktes Ziel bleiben, sondern in die Tat umgesetzt werden.
Darüber hinaus setzt sich der GDS für die Förderung globaler Standards ein. Es geht darum, gemeinsame Leitlinien und Standards zu entwickeln, die weltweit Anwendung finden können. Diese Standards schaffen eine Grundlage, um Inklusion international voranzutreiben. Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Unterstützung für Länder mit geringeren Ressourcen. Der GDS bietet eine Gelegenheit, Partnerschaften zwischen Ländern des Globalen Nordens und Ländern des Globalen Südens zu fördern. Solche Kooperationen können dazu beitragen, dass auch in Ländern mit begrenzten Mitteln Fortschritte bei der Inklusion erzielt werden, sei es durch finanzielle Unterstützung, technische Hilfe oder Wissenstransfer.
Wird sich der DBSV auf dem Gipfel einbringen und wenn ja, in welcher Form?
Ja, der DBSV wird sich aktiv am Global Disability Summit beteiligen. Unser deutsches Präsidiumsmitglied der Europäischen Blindenunion (EBU), Sabine Ström, wird die EBU vertreten. Zudem werden sowohl die Geschäftsführung des DBSV als auch ich als Referentin für Internationales am Gipfel teilnehmen, um internationale Kontakte zu knüpfen und bestehende Netzwerke zu stärken.
Der DBSV hat sich bereits im Vorfeld des Gipfels über den Deutschen Behindertenrat in die Vorbereitungen eingebracht und darüber hinaus an Gesprächen und Abstimmungen mit dem ausrichtenden Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung teilgenommen. Dabei wurden die Bedeutung der Selbsthilfeorganisationen und das Prinzip „Nichts über uns ohne uns“ betont. Wir haben uns bemüht, die Belange blinder und sehbehinderter Menschen in die Diskussion einzubringen und ihre Interessen sichtbar zu machen. Der Gipfel bietet eine wichtige Gelegenheit, diese Arbeit fortzuführen.
Die Teilnahme des DBSV und anderer Selbsthilfeorganisationen wird die Bedeutung der Selbsthilfe in den Fokus rücken. Ihre Rolle bei der Umsetzung der UN-BRK soll hervorgehoben werden.