In Wien wird wieder „Blind ermittelt“: Zwei neue Folgen der Krimireihe sind Anfang Mai im Ersten zu sehen. Philipp Hochmair spielt den blinden Sonderermittler Alexander Haller, Andreas Guenther seinen Partner Niko Falk. Im Sichtweisen-Interview sprechen die Schauspieler darüber, was sich in ihrer Wahrnehmung durch die Rolle verändert hat, warum Schauspielen als Beruf kein Champagnerschlürfen ist und was ihnen Freundschaft bedeutet.
Herr Hochmair, Herr Guenther, wie haben Sie sich auf Ihre jeweilige Rolle vorbereitet?
Philipp Hochmair: Ich war bei „Dialog im Dunkeln“ in Hamburg, das ist ein interaktives Museum von blinden für sehende Menschen. Das war für mich das Schlüsselerlebnis für die Rolle. Damit konnte ich mir einen sehr guten Eindruck verschaffen und erahnen, was die Figur des Alexander Haller durchmacht. Wichtig ist für ihn die Erfahrung der Erblindung, aber auch die Freundschaft zu der Figur Niko Falk, und aus diesen beiden Komponenten konnte ich gut nachvollziehen, dass der Mann durch den Verlust seiner Frau und den Verlust seines Augenlichts einen schweren Bruch erlebt und durch die Freundschaft mit Niko eine neue Chance bekommt.
Haben Sie auch Langstocktraining gemacht?
Ja, das habe ich auch gemacht, aber das ist mehr ein äußeres Zeichen, es geht mehr um die innere Struktur der Figur, diesen Schmerz und diese neue Wahrnehmung, die daraus resultiert.
Und bei Ihnen, Herr Guenther?
Andreas Guenther: Niko ist auf den ersten Blick ja der Typ „wilder Hund“, mit einem beinahe unerschöpflichen "Positivismus". Ich habe mich in der Vorbereitung auf die zweite, die dritte Ebene konzentriert, sprich die emotionale Tiefe der Figur. Als Philipp und ich vor fünf Jahren den ersten Wien-Krimi gedreht haben und er diese dunkle Brille trug, wurde mir bewusst: „Shit - ich sehe seine Augen gar nicht, es kommt kein Blick zurück wie man es gewohnt ist in einem Dialog.“. Ich musste mein Spiel noch mal komplett neu strukturieren.
Herr Hochmair, warum trägt Alexander Haller eine dunkle Brille?
Philipp Hochmair: Er trägt sie, um die Sehenden nicht zu irritieren, weil seine Augen unruhig sind und weil sie in unregelmäßigen Abständen zucken und das den Gesprächspartner nicht irritieren soll. Gleichzeitig sieht es natürlich auch filmisch gut aus, und den Moment, die Brille abzusetzen, kann man natürlich auch als Tool im Spiel einsetzen, um das Gegenüber zu verunsichern.
Was mögen Sie an Ihrer jeweiligen Figur?
Andreas Guenther: Bei Niko diese Klarheit, diese auf der Zunge liegende Ehrlichkeit, dass er die Dinge sagt, wie sie sind, und so lebensbejahend ist. Diese positive innere, dem Leben zugewandte Haltung, auch dann wenn es schwierig wird, und das Wahrheitsliebende sind besondere Eigenschaften Nikos. Wenn es schwierig im Leben wird, neigt der Mensch schnell dazu in einen „allgemein Negativismus“ zu verfallen - der wiederum schürt Ängste, und Angst ist kein guter Begleiter im Leben. Das ist bei Niko verkörpert genau das Gegenteil, das ist doch eine tolle Kraft. Er ist und bleibt ein „Spitzbube“ und dass er halt ein Frechdachs ist.
Sind Sie im privaten Leben auch der kumpelhafte Typ, der keine Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung hat?
Andreas Guenther: Ich war ja in der Waldorfschule in Überlingen, und meine Mutter war Heilerzieherin in einer anthroposophischen Einrichtung für behinderte Kinder. Also ist es nichts Fremdes für mich, allerdings so frei wie Kinder bin ich nicht; ich würde mich wahrscheinlich nicht trauen, den Menschen direkt anzusprechen und ihn zu fragen: Warum bist du blind? Warum hast du kein Bein mehr? oder Ähnliches.
Was haben Sie beide durch die Rolle über blinde oder sehbehinderte Menschen erfahren, das Ihnen vorher vielleicht nicht klar war?
Philipp Hochmair: Erst einmal weiß ich jetzt, wie gefährlich das Leben ohne Augenlicht ist. Den Alltag blinder Menschen habe ich mir vorher nicht vorstellen können. Darum habe ich Leute zu Hause besucht und gesehen, wie sie leben und was sie machen, wie sie sich organisieren. Ich bin viel sensibler geworden, und sehe nun natürlich mehr blinde Menschen, fühle mich ihnen zugehörig oder spüre einfach Verbindungen, die ich vorher nicht gespürt habe.
Andreas Guenther: Ich frage mich oft: Ob und wie sehr trauert ein Mensch, der sehen konnte und erblindet ist, dem Sehen nach? Wie schwer ist der innere Kampf zu akzeptieren oder wie stark ist die Sehnsucht nach dem Sehen? Ich glaube, diese Menschen bringen eine unfassbare Kraft auf! Ich kriege immer eine Gänsehaut, wenn ich über so etwas nachdenke. Ich habe mich auch gefragt, wie ich wohl damit umgehen würde, wenn ich erblinden würde.
Philipp Hochmair: Dieses Dialog-im-Dunkeln-Museum ist natürlich ein guter Einstieg in so ein Grundgefühl, das ist eine tolle Institution. Ich habe allen Leuten empfohlen dahinzugehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Welt durch Blindheit verändert. Wenn man den ersten Schock überwunden hat, ist es eine Bereicherung, dass man die Welt ganz anders wahrzunehmen lernt.
Wenn Menschen mit Behinderungen in Filmen vorkommen, steht oft die Behinderung als Problem im Mittelpunkt. Glauben Sie, das wird sich langfristig ändern?
Philipp Hochmair: Das wäre toll! Das ist ein Ziel unserer Serie, dass Behinderung gar nicht mehr so ein Thema ist, dass es Inklusion gibt, Türen sich öffnen und wir alle gleichberechtigt sind.
Andreas Guenther: Ich denke, dass es wichtig ist, wie man Menschen, die eine Behinderung haben, begegnet. Oft hat man ja Mitleid, aber ich glaube, dass es wichtiger sein sollte, den Menschen nicht auf seine Behinderung zu reduzieren, sondern ihn einfach als Menschen wahrzunehmen. In der Serie „Club der roten Bänder“, die ich gedreht habe, geht es um schwerkranke Jugendliche, und es wird die Frage verhandelt: Kontrolliert die Krankheit mein Leben oder bleibe ich der Kapitän und schaffe mir immer wieder Inseln von Leichtigkeit und Freude?
Immer wieder wird gefordert, dass Figuren mit einer Behinderung auch von Menschen mit einer Behinderung gespielt werden. Mal abgesehen davon, dass ihnen im Moment kaum Möglichkeiten geboten werden, den Schauspielberuf zu erlernen. Was halten Sie davon?
Philipp Hochmair: Das ist ein großes Thema. Ich weiß nicht, ob es blinde Filmschauspieler gibt. Wie kann ein blinder Mensch Schauspieler werden, wo gibt es die Möglichkeit zur Ausbildung, wer kann ihn entdecken oder fördern – das sind komplexe Fragen. Natürlich ist es wichtig, dass auch behinderte Menschen eine Chance bekommen, Schauspieler zu werden, wenn sie das Talent und den Drang dazu haben. Ich weiß nicht, ob ein blinder Mensch Freude daran haben könnte, Fernsehschauspieler zu werden, weil das Fernsehen hauptsächlich ein Medium für sehende Menschen ist. Als Fernsehschauspieler wäre man sehr darauf angewiesen, von den anderen geführt und gecoacht zu werden. Aber Bühnenschauspieler könnte ich mir gut vorstellen, ebenso Leute, die vorher sehend waren, dann erblindet sind und weiter im Beruf bleiben.
Es geht auch zum Beispiel um Menschen im Rollstuhl.
Philipp Hochmair: Es gibt in Österreich eine Krimireihe mit einem Kommissar im Rollstuhl: „Die Toten von Salzburg“ – als Kontrapunkt zum Kommissar in Wien. Der Schauspieler sitzt nicht im Rollstuhl. Die Herausforderung für Schauspieler im Rollstuhl ist da möglicherweise auch noch eine größere, da es ein sehr physischer Beruf ist.
Ich habe gehört, dass die Schauspielschulen keine Menschen mit Behinderungen akzeptieren. Der Wunsch wäre vielleicht da bei einigen.
Philipp Hochmair: Jeder, der sich an einer Schauspielschule bewirbt, ist dort nicht erwünscht – ich war auch nicht erwünscht. Man muss sich dieses Terrain erkämpfen, Und wenn man diesen Drang hat und wirklich gewillt ist, diesen Weg zu gehen, müsste man das unter Beweis stellen und die Schauspielschule überzeugen, dass das geht. Aber Sie haben natürlich recht, dass es da wahrscheinlich wenig Entgegenkommen gibt.
In Wuppertal gab es ein Projekt, bei dem Menschen mit Behinderung den Schauspiel-Beruf erlernen konnten. Eine der Teilnehmerinnen spielt jetzt am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Philipp Hochmair: Toll, super! Ich begegne immer wieder Schauspielern mit Behinderung. Sie beeindrucken mich total. Vor allem bewundere ich körperlich behinderte Schauspieler auf der Bühne, weil sie einen noch stärkeren Willen haben und vielleicht damit noch freier sind. Ich wünsche mir, dass sie mehr Präsenz und Aufmerksamkeit für ihre Leistung bekommen.
Und Sie, Herr Guenther, was halten Sie davon, dass Figuren mit Behinderung von Menschen mit Behinderung gespielt werden?
Andreas Guenther: Es soll immer derjenige die Rolle bekommen, der am geeignetsten ist, ob behindert oder nicht behindert, schwarz, weiß, gelb oder grün. Es gibt auch offene Castings: Wenn ein Teilnehmer kommt, der eine Behinderung hat und toll spielt, überzeugt, kann ich mir vorstellen, dass er die Rolle bekommt. Aber Philipp hat natürlich recht, dass das in unserer Wahrnehmung nicht so präsent ist. Man braucht knallhartes Durchhaltevermögen, und man wird an seine Grenzen kommen. Die Herausforderung in unserem Beruf ist immer wieder, nicht aufzugeben. Ich hatte 20 Castings im Jahr und 19 Absagen. Das geht an die Substanz, das ist kein Zuckerschlecken oder Champagnerschlürfen. Man arbeitet mit seinen Gefühlen, mit sich, und deshalb sind wir Schauspieler auch so sensibel, feinfühlig. Es tut weh, eine Absage zu bekommen. Man braucht ein dickes Fell, und ich glaube, Menschen mit Behinderung wahrscheinlich leider ein noch dickeres Fell.
Welche Rückmeldungen haben Sie auf Ihre Rollen in „Blind ermittelt“ bekommen?
Philipp Hochmair: Ich habe sehr positives Feedback bekommen, die Serie erfreut sich großer Beliebtheit. Es wird völlig akzeptiert, dass der Ermittler blind ist. Zum Thema Blindheit oder dass ich als Sehender einen blinden Menschen spiele, kam keine Rückmeldung.
Haben Sie auch von blinden Menschen Rückmeldungen bekommen?
Philipp Hochmair: Ja, gute Rückmeldungen, keine grundsätzliche Kritik.
Andreas Guenther: Ich eigentlich auch, bis auf den einen oder anderen Blindenverband, der sich darüber aufgeregt hat, dass Niko den blinden Alex falsch führt und dass das doch bitte geändert werden müsse. Es ist ja fiktional, was wir machen, und Niko hat keinen Lehrgang besucht, sondern er macht es auf seine Art und Weise. Er macht es ja nicht falsch, nur anders. Ansonsten haben wir wirklich durch die Bank positives Feedback bekommen. Das Besondere an Alexander Haller und Niko Falk ist eben, dass sie so grundverschieden sind und sich dennoch tolerieren, akzeptieren und respektieren.
Die Freundschaft der beiden wird in einer der neuen Folgen auf die Probe gestellt. Was bedeutet Ihnen persönlich Freundschaft?
Andreas Guenther: Echte Freundschaft hat einen extrem hohen Stellenwert für mich. In einer Freundschaft geht es um Vertrauen. Man öffnet sich, da bildet sich der Kern – eine tiefe Verbindung, die über Jahre gebildet wird. Man verlässt sich aufeinander, ist füreinander da, sagt sich gegenseitig die Wahrheit - und Wahrheit tut manchmal auch weh. Aber das sollte man in einer Freundschaft aushalten – umso besser, umso stärker wird sie.
Philipp Hochmair: Ohne Freundschaften geht gar nichts. Das sehen wir auch in unserer Krimireihe: Ohne seinen Freund würde der blinde Kommissar nicht überleben wollen, der Freund gibt ihm seinen Lebenswillen und unterstützt ihn. Die beiden bilden ein tolles Team und sind zusammen stärker als allein. Niko wäre ohne Alex vielleicht ein räudiger Taxifahrer und Alex ein trauriger, einsamer Mensch. Es gibt eine Symbiose, die die beiden in einen neuen Abschnitt ihres Lebens bringt, insofern ist ihre Freundschaft die Basis für die Geschichte. In der Folge „Tod im Kaffeehaus“ wackelt die Freundschaft, das ist das Spannende daran.
Andreas Guenther: Die Folge spiegelt wider, was in einer Freundschaft auszuhalten ist: Ehrlichkeit, Wahrheit. Alexander Haller muss sich fragen, ob er in seiner beruflichen Vergangenheit einen Fehler gemacht hat. Sich einzugestehen, vielleicht einen gemacht zu haben, ist schwierig für ihn. Niko bohrt nach, und so kommt es zu Konflikten.
Entstehen durch die Dreharbeiten auch Freundschaften, vielleicht auch bei Ihnen beiden?
Philipp Hochmair: Natürlich gibt es Stress am Set, aber wir haben einen Teamgeist, der uns wichtig ist. Im Anschluss an den Dreh wird natürlich gern gefeiert, um diesen Stress zu verarbeiten, und dadurch, dass wir schon viele Jahre zusammenarbeiten, bildet sich natürlich eine freundschaftliche Basis.
Andreas Guenther: Eine richtig tiefe Freundschaft habe ich in meiner Karriere mit Schauspielern nicht erlebt. Während eines Drehs ist man sehr eng miteinander, und dann geht man wieder auseinander, geht in den nächsten Dreh. Mit Philipp ist es das Engste, weil wir viel miteinander zu tun haben. Wir arbeiten drei Monate zusammen, jeden Tag, da ist es klar, dass sich eine private Freundschaft bildet.
„Der Wien-Krimi: Blind ermittelt“, Folge „Tod im Kaffeehaus“ am Donnerstag, 2. Mai, und Folge „Tod im Palais“ am Donnerstag, 9. Mai, jeweils um 20:15 Uhr im Ersten sowie in der ARD-Mediathek.