„Ich habe Ausdauer entwickelt”
Interview mit Hans-Werner Lange

· Ute Stephanie Mansion

Portrait von Hans-Werner Lange. Er hat kurze, weiße Haare und ein volles Gesicht. Er trägt ein weißes Hemd, darüber ein dunkles Jackett, dazu eine purpurfarbene Krawatte und eine dunkel getönte Brille. Er schaut lächelnd in die Kamera.
DBSV-Präsident Hans-Werner Lange  ·  Bild: DBSV-Friese

Herr Lange, Sie haben Ihr Amt als neuer Präsident des DBSV Ende Juni angetreten. Wie blicken Sie auf die ersten Monate im Amt zurück?

Wir haben mit den Vorbereitungen für das Louis Braille Festival 2024 in Stuttgart begonnen. Dann war die Überlegung: Wie verteilen wir Arbeit in der Zukunft, und welche Aufgaben könnten die neuen Mitglieder im Präsidium übernehmen? Für mich war es ja kein Neuland, weil ich seit 16 Jahren als Vize-Präsident dabei bin und so dem Grunde nach weiß, wie sich die Dinge entwickeln und was wir organisatorisch dafür brauchen. Auf der anderen Seite steckt natürlich als Präsident eine andere Verantwortung dahinter, weil man auf vielen Hochzeiten, zumindest informell, mittanzen muss. Ich bin sicher, dass wir im Präsidium ein tolles Team bekommen haben, das die anstehenden Aufgaben bewältigen wird.

Was möchten Sie eventuell anders machen als Ihre Vorgänger, und was möchten Sie beibehalten?

Ich hatte das große Glück, mit Renate Reymann und Klaus Hahn sehr gute Vorbilder in diesem Amt zu haben, die mit großer Ruhe und Bedacht die Verantwortung für den DBSV übernommen haben. Das will ich so weitermachen, also nicht gehetzt sein, sondern in Ruhe und in Abwägung die anstehenden Entscheidungen vorbereiten und umsetzen. Wir überlegen im Präsidium im Augenblick gemeinsam, wie wir bestimmte Organisationsstrukturen verändern können, um bei der Vielfalt der anstehenden politischen Fragen mehr Zeit zu gewinnen. Wir möchten uns, schon bevor die Dinge politisch aktuell werden, zu bestimmten Fragen eine Meinung bilden. Im Großen und Ganzen wird es keine revolutionären Veränderungen geben. Wir werden das, was gut ist, beibehalten, aber werden im organisatorischen Umgang das eine oder andere verändern.

Wird es Neuerungen geben, die sich auf die Landesvereine auswirken?

Wir haben 2018 Paten für die Landesvereine eingeführt. Das werden wir fortsetzen. Für den einen oder anderen Landesverband wird es keine Veränderung geben, aber ein paarmal werden wir die Karten neu mischen müssen. Das Patensystem ist eine wichtige Sache, weil es eine unserer großen Aufgaben sein wird, den Kontakt zwischen DBSV, Landesverbänden und Mitgliedern zu stärken. Es geht mir darum, auf Dauer im Zusammenwirken zwischen Landesverbänden und Paten mehr Verbindlichkeit herzustellen. Die kommenden Jahre werden sicher schwerer werden als die letzten, weil wir im Präsidium erwarten, dass wir in sozialen Fragen einen Verteilungskampf in Deutschland bekommen werden. Darum müssen wir in der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe eng zusammenstehen, um zukünftig bei solchen Diskussionen eine starke Stimme zu haben.

Welche politischen oder sozialen Themen erscheinen Ihnen im Moment am dringlichsten, und wie wollen Sie sie anpacken?

Wir haben auf dem Verbandstag eine Resolution zu gesundheitspolitischen Fragen verabschiedet, die wir mit Leben füllen wollen. Die Gestaltung eines barrierefreien Gesundheitssystems in Deutschland hat für uns eine wichtige Bedeutung. Wir, aber auch die behinderten Menschen insgesamt, wollen gleichwertig und auf Augenhöhe am Gesundheitssystem teilhaben. Wir müssen schauen, bei den anstehenden Neuerungen nicht durch die Maschen zu fallen. Das wäre katastrophal.

Auch der Entwicklungsprozess 2030 spielt eine große Rolle, besonders im nächsten Jahr werden wir viele Dinge zumindest so vorbereiten, dass wir in die zweite Phase, nämlich die Umsetzung, kommen. Wir möchten außerdem einen niederschwelligen Zugang für zukünftige Mitglieder schaffen, sowohl analog als auch digital, weil immer mehr Menschen den Weg zu uns übers Internet finden werden.

Im Bereich Mittelakquise werden Arbeitsgruppen eingerichtet, um den Prozess 2030 in Gang zu bringen. Das Gleiche gilt für die Stärkung des Ehrenamts.

Wie sieht es aus im Bereich berufliche Teilhabe?

Die Akademisierung der Ausbildung für Physiotherapeuten ist ein Thema, das uns umtreibt. Wenn das so käme, wie es die Berufsverbände in Teilen fordern, sehen wir große Probleme, dass dieses wichtige Berufsbild für viele blinde und sehbehinderte Menschen nicht zugänglich bleibt. Ich habe Verständnis für Akademisierung, aber der Blick ins Ausland zeigt, dass damit nicht alles erfolgreich läuft. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese Qualifikation ohne Einschränkungen für den von uns vertretenen Personenkreis offen bleibt.

Wird sich das Präsidium auch damit beschäftigen, jüngere Mitglieder zu gewinnen?

Der Jugendclub kann sicher sein, dass das Thema Jugend für das Präsidium weiterhin einen großen Stellenwert hat. Wir werden alles tun, die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich diese Arbeit weiterentwickeln kann. Wir müssen auch dahin kommen, regionale Aspekte bei den Angeboten einzubinden, und dazu ist es notwendig, dass die Landesverbände in gleicher Weise, wie wir das auf Bundesebene machen, der Jugendarbeit einen hohen Stellenwert geben. Wir reden über eine eher kleine Gruppe, aber wir wollen, dass diese Gruppe innerhalb des Verbandsgefüges größer wird.

Nicht alles, was ein Verband anregt, ist von Erfolg gekrönt. Wie gehen Sie persönlich mit Niederlagen um?

Ich bin ja schon seit Anfang der Achtzigerjahre in der Selbsthilfe und damit auch sozialpolitisch unterwegs. Nicht alles klappt beim ersten Mal, und mir hat mal ein namhafter Sozialpolitiker gesagt: "Wir müssen im sozialen Bereich lernen, manche Ehrenrunde zu drehen." Ich habe Ausdauer entwickelt und bleibe auch penetrant an einem Thema dran, wenn es notwendig ist. Misserfolge gibt es, aber man lernt in der politischen Arbeit, Dinge wegzustecken.

Die Misserfolge, die mir persönlich viel mehr Sorgen machen, gibt es eher im persönlichen Bereich. Wenn man Erwartungen an Dritte hat und sieht, dass die vielleicht nicht erfüllt werden können oder sollen – das belastet mich viel mehr. Natürlich habe ich auch im persönlichen Bereich einen Schutzschild entwickelt, aber das finde ich schon enttäuschend, weil ich jemand bin, der immer offen auf Menschen zugeht und sich auch traut, Unangenehmes zu sagen. Man macht die Dinge nicht besser, wenn man sie nicht ausspricht, man muss sie mit Einfühlungsvermögen und auf Augenhöhe ansprechen. Gesprächspartner in der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe finden bei mir immer ein offenes Ohr.

Sie waren bis vor Kurzem Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbands Niedersachsen. Nun sind Sie dessen Vorsitzender, wie lassen sich die beiden und Ihre weiteren Ehrenämter zeitlich miteinander vereinbaren?

Als ich bereit war, für die Präsidentschaft im DBSV zu kandidieren und die Wahl anzunehmen, war mir klar, dass das mehr Zeit kosten würde als die Arbeit als Vize-Präsident. Die Aufgaben und Themen, mit denen sich ein ehrenamtlich tätiger Vorsitzender eines Landesvereins beschäftigt, ähneln denen auf Bundesebene. Man muss sich nicht immer neu in Fragestellungen einarbeiten. Das, was man in einem Landesverband verantwortet, muss ausstrahlen auf das, was auf Bundesebene eine Rolle spielt. Umgekehrt muss man schauen: Was treibt uns gesellschaftspolitisch auf Bundesebene um, und welche Strahlkraft hat das auf die Landesebene? Ich hoffe, dass man auf diese Weise in beiden Bereichen erfolgreich unterwegs sein kann. Solange es mir gesundheitlich gut geht, und das ist im Augenblick erfreulicherweise so, werde ich meine ganze Kraft für die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe und die Aufgaben einsetzen, die ich übernommen habe.

Wollen Sie in vier Jahren erneut als Präsident des DBSV kandidieren?

Ich finde es schon gut, wenn ein Amt eine gewisse Kontinuität hat. Wenn es mir in vier Jahren gesundheitlich gut geht, werde ich das vielleicht positiv entscheiden. Wenn man so lange dabei ist, muss man jedoch gucken, dass man sich nicht abnutzt und auch so wahrgenommen wird. Man muss ein Amt nicht bis ins hohe Alter ausüben, irgendwann muss es einen Generationswechsel geben. Wenn man die Erfahrungen der Älteren und den Elan der Jüngeren zusammenbringt, ist das eine gute Voraussetzung, um erfolgreich zu arbeiten. Ausschließen würde ich eine erneute Kandidatur im Augenblick nicht.

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