Schielen hat nicht nur organische Auswirkungen, sondern kann psychosoziale Probleme bei Betroffenen verursachen, zu Ausgrenzung, Ängsten und Depressionen führen. Das Thema Schielen war auch eines von vielen auf dem jährlichen Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) im Oktober in Berlin. In Bonn beginnt bald eine große Studie mit schielenden Personen.

Etwa vier Prozent der Bevölkerung in Deutschland schielen. Mitunter beginnen Menschen erst im Erwachsenenalter zu schielen – etwa aufgrund eines Schlaganfalls, eines Unfalls oder einer Schilddrüsenerkrankung. „Die meisten Schielformen beginnen jedoch im Kindesalter“, erläutert Prof. Dr. Bettina Wabbels, Leiterin der Orthoptik, Neuro- und pädiatrische Ophthalmologie an der Universitäts-Augenklinik Bonn. Schätzungsweise jedes 25. Kind schielt. „Man findet im Prinzip in jeder Klasse ein betroffenes Kind“, sagt Bettina Wabbels.
Beim Schielen, auch Strabismus genannt, weicht ein Auge von der Blickachse des anderen Auges ab. Das kann Doppeltsehen, verringertes räumliches Sehen oder Kopfschmerzen, bei Kindern auch einen einseitigen Sehverlust auslösen. „Mindestens genauso gravierend sind jedoch die psychosozialen Folgen“, betont die DOG-Expertin. Studien belegen: Schielende Menschen werden von ihrer Umwelt als weniger intelligent, sympathisch, attraktiv und fleißig wahrgenommen. Dadurch kann es zu Benachteiligungen im Alltag, in der Schule und im Beruf sowie bei der Partnerwahl kommen. Die Lebensqualität kann folglich beeinträchtigt sein.
Psychosoziale Aspekte beim Schielen bisher unterschätzt
Das schafft seelischen Leidensdruck. „Schielen kann bei Kindern und Erwachsenen zu Scham, Vermeidungsverhalten, sozialem Rückzug oder mentalen Problemen führen“, berichtet Bettina Wabbels. „Diese Aspekte des Schielens werden bisher unterschätzt, obwohl sie für die Schielenden extrem bedeutsam sind.“
Insbesondere im Blickkontakt seien schielende Menschen häufig verunsichert. „Betroffene berichten, dass sie in der zwischenmenschlichen Kommunikation Schwierigkeiten haben; dass sie sogar beschuldigt werden, unehrlich oder unaufmerksam zu sein und nicht zuzuhören, da ihr Blick abschweife“, erklärt die Augenärztin.
Einige Betroffene versuchten, das Schielen durch Frisuren oder Kopfhaltungen zu kaschieren oder sehen ihrem Gegenüber gar nicht erst in die Augen, was die Interaktionsprobleme eher noch verstärke. Der Tipp der DOG-Expertin: „Schauen Sie auf die Nasenwurzel Ihres Gegenübers.“
Eine Schiel-Operation bietet Abhilfe – sie bessert nicht nur das Zusammenspiel beider Augen, sondern auch die psychosoziale Situation, indem sie zu größerer sozialer Akzeptanz und Attraktivität verhilft. Einen positiven Einfluss von Schiel-Operationen auf die Lebensqualität konnte die Universitäts-Augenklinik Bonn bereits in einer Pilotstudie belegen. „Nach der Schiel-Operation sanken die Symptome von Ängsten und Depressionen unter die Schwelle der Behandlungsbedürftigkeit“, berichtet Bettina Wabbels. „Viele äußerten sich extrem dankbar, dass sie diese belastenden Probleme endlich offen thematisieren konnten. Sie sagten, dass das Schielen ihr ganzes Leben beeinträchtigt hätte.“
Studie "Qualitas – Quality of live after strabismus surgery" geplant
Jetzt sollen diese Faktoren erstmals in einer großen Studie zu „Qualitas – Quality of live after strabismus surgery“ betrachtet werden. Unter der Leitung der Universitäts-Augenklinik Bonn untersuchen Forschende die Lebensqualität von mehr als tausend erwachsenen Schielpatientinnen und -patienten über einen Zeitraum von sechs Jahren.
„Wir wollen unter anderem den Einfluss von Schiel-Operationen auf Lebensqualität und mentale Gesundheit messen“, erklärt Bettina Wabbels. Zugleich könnten Patientinnen und Patienten mit depressiven Symptomen und Ängsten an geeignete Behandlungsstellen weitergeleitet werden.
Quelle: Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft