Ein Schuh warnt vor Hindernissen

· Lisa Mümmler

Ein Paar Beine in schwarzen Leggings und mit den besonderen Schuhen: An deren Spitze ist jeweils das InnoMake-Gerät befestigt, ein kleiner Kasten aus Metall.
Bild: DBSV

Ein Schuh, der über Ultraschall Hindernisse lokalisiert: Das ist eine Erfindung der Firma Tec-Innovation, entwickelt als Orientierungshilfe für blinde und sehbehinderte Menschen. Über Vibration oder Piepsen weist ein am Schuh angebrachtes Gerät mit dem Produktnamen InnoMake auf Barrieren hin. Wie alltagstauglich, zuverlässig und bedienbar das technische Hilfsmittel ist, hat unsere Redakteurin getestet.

So sehen vibrierende Schuhe aus

Neugierig und erwartungsvoll öffne ich den handlich großen Karton. Unter dem papierenen Deckel kommt ein Paar stilvoller, moderner Textilschuhe zum Vorschein, die mir auf Anhieb gefallen. Weiße Sohle, zeitloses Jeansblau, verspielter Reißverschluss neben der Schnürung. Und dann entdecke ich die Schuhspitzen: wenige Zentimeter große Metallplatten, die vorne an beiden Schuhen herausragen.

So habe ich mir die "vibrierenden Schuhe" nicht vorgestellt. Diese, hergestellt von der Tec-Innovation GmbH, zeigen durch unterschiedlich intensives Vibrieren oder Piepsen der Trägerin oder dem Träger Objekte in Gehrichtung an. Die ultraschallbasierte Technik hatte ich unauffällig in der Sohle vermutet.

Nach näherer Betrachtung des restlichen Kartoninhalts finde ich die beiden Aufsätze, die mit einem simplen Handgriff vorne auf die Metallplatten gesteckt werden. Zwei graue, quadratische Kästen namens InnoMake mit einem Knopf an der dem Schuh zugewandten Rückseite, einem Knopf an der Außenseite zum Lösen und jeweils zwei kreisrunden Vertiefungen vorne: die Sensoren für den Ultraschall.

Auch wenn mir die Vorstellung, mit diesen nicht gerade unauffälligen Schuhen vor die Tür zu gehen, unangenehme Gefühle verursacht, bin ich doch gespannt, ob und wie die Schuhe funktionieren. Daher schiebe ich meine Bedenken beiseite und beschließe, das vielversprechende Produkt unvoreingenommen zu testen.

Die InnoMake-App

Während einer hilfreichen telefonischen Einweisung durch einen Mitarbeiter von Tec-Innovation installiere ich unter Anleitung die leicht bedienbare App "InnoMake" auf meinem Smartphone und koppele via Bluetooth die beiden InnoMake-Aufsätze damit. Über diese Anwendung lassen sich beide Schuhe einzeln oder gleichzeitig einstellen.

Über einen Schieberegler lässt sich der gewünschte Abstand zwischen Schuh und Hindernis einstellen – die Auswahl rangiert zwischen einem halben und vier Metern. Für Innenräume wird eine kürzere Distanz empfohlen, im Außenbereich eine größere. Außerdem kann ich selbst entscheiden, ob ich Hindernisse per Vibration über meine Füße oder als Piepsen über mein Smartphone gemeldet bekommen möchte. Auch eine Kombination aus beidem ist wählbar. Mit einem Tipp auf das Display lassen sich die Schuhe in den Standby-Modus versetzen und ebenso einfach wieder aktivieren.

Außerdem verfügen beide über ein LED-Licht, das über den Befehl "Taschenlampe" an- und ausgemacht werden kann – ein nützlicher Zusatz besonders in der dunklen Jahreszeit.

Die komfortable Bedienung über das Smartphone sagt mir zu und funktioniert ausgezeichnet. Gleichzeitig lassen sich die vibrierenden Schuhe jedoch auch händisch konfigurieren, nämlich durch bestimmte Druckfolgen auf den Knopf an der InnoMake-Rückseite.

Testlauf

Die Testerin, von der nur die untere Körperhälfte zu sehen ist, geht auf einige Treppenstufen zu. Sie trägt die InnoMake-Schuhe. An ihrer linken Seite geht ein blonder Blindenführhund mit Freizeitkenndecke.

Nachdem die recht intuitive Konfiguration abgeschlossen ist, starte ich erste Gehversuche. Meine Befürchtung, ich könne mit den vorne durch die InnoMake-Aufsätze etwas verlängerten Schuhen nicht richtig laufen, zerstreuen sich auf den ersten Metern. Lediglich beim Treppensteigen ist ein wenig Vorsicht geboten, um nicht an der nächsten Stufe anzustoßen. Ein Gefühl für den einzuhaltenden Abstand entwickle ich schnell.

Auch die Vibration ist für mich angenehm, gut fühlbar, aber nicht störend intensiv. An das leise Summen, das ich besonders bei der Nutzung in Innenräumen wahrnehme, gewöhne ich mich allmählich. Draußen fällt es mir gar nicht auf.

Insgesamt drei Tage lang habe ich die InnoMake-Schuhe drinnen und draußen, in bekannter und unbekannter Umgebung getestet. Je länger ich sie trug, desto vertrauter und hilfreicher wurden die Impulse, die ich darüber erhielt. Sowohl das fühlbare als auch das akustische Signal lassen sich gut mit einer Einparkhilfe beim Auto vergleichen. Je kleiner der Abstand zum Hindernis wird, desto schneller werden die vibrierenden oder piepsenden Stöße. Befindet sich eine Stufe, eine Wand, ein Karton oder ein anderer Mensch direkt vor mir, so ist das Signal durchgehend. Besonders positiv ist mir aufgefallen, dass auch Schwellen und sehr niedrige Stufen gut und zuverlässig angezeigt werden.

Ein Ersatz für den Langstock sind die InnoMake-Schuhe allerdings nicht, worauf auch der Hersteller explizit hinweist. Es gab beispielsweise schmale Pfosten, die nicht in den Radius der Ultraschallsensoren fielen und gegen die ich ohne Stock gestoßen wäre. Auch auf der Wiese, die ich mit meinem Blindenführhund aufsuche, bekam ich keine zuverlässigen Informationen über die dort stehenden Bäume – vermutlich, weil das hohe Gras die Geräte beeinflusst.

Da zunächst eine Ultraschallwelle ausgesendet und vom Hindernis an die Schuhe reflektiert wird, ist die Reaktion minimal verzögert. Daran habe ich mich nach kurzer Zeit gewöhnt – allerdings fiel mir auf, dass beim langsameren Gehen die Umweltinformationen genauer und hilfreicher sind.

Mit einem Preis von 3840 Euro sind die InnoMake-Schuhe verhältnismäßig kostspielig. Als registriertes Medizinprodukt der Klasse 1 werden sie von den Krankenkassen finanziert. Tec-Innovation hilft außerdem bei der Beantragung.

Fazit

Für schnellschrittige, stilbewusste Menschen mit Seheinschränkung ist der InnoMake-Schuh aus meiner Sicht weniger geeignet. Wer sich an der auffälligen Optik nicht stört und zusätzlich zum Langstock weitere Umweltimpulse wünscht, sollte die vibrierenden Schuhe aber durchaus einmal testen. Jeder blinde und sehbehinderte Mensch ist individuell, und für viele könnten die über Vibration oder Piepsen weitergegebenen Informationen über Hindernisse hilfreich sein.

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