Als ich stolzer Besitzer meines ersten iPhones wurde, war selbstständige Navigation von Anfang an eine der wichtigsten Funktionen. Spezielle Navi-Apps für blinde und sehbehinderte Menschen waren noch nicht auf dem Markt. Meine erste Navigations-App kostete stolze 79 Euro und war sozusagen „aus Versehen“ gut nutzbar. Seitdem ist viel geschehen: Zwei aktuelle Trends sind auffallend. Zum einen interessante kostenlose Programme, zum anderen „3D-Audio“. Im Folgenden erkläre ich, was das ist und stelle vier nützliche Navi-Apps für blinde und sehbehinderte Menschen vor.
Die Umgebung hören mit VoiceVista
Der Entwickler Jianfeng Wu veröffentlichte VoiceVista, basierend auf dem freigegebenen Quellcode der eingestellten Microsoft-App Soundscapes.
VoiceVista verwendet 3D-Audio-Technologie. Das bedeutet, dass mit Tönen und Ansagen aus verschiedenen Richtungen, die direkte Umgebung dreidimensional hörbar gemacht wird. Die akustischen Signale, die auf Straßenkreuzungen, Geschäfte oder Adressen hinweisen, kommen genau von dort, wo sich der entsprechende Ort befindet. So entsteht eine Art hörbare räumliche Karte der Umgebung.
Mit VoiceVista können außerdem Orte gesucht und zu ihnen navigiert, eigene Wege anhand von selbst gesetzten Punkten aufgezeichnet und Routen aus dem GPX-Format importiert werden. Dieses Dateiformat wird zum Beispiel von der App Komoot verwendet. Damit eignet sich VoiceVista auch für Wanderungen.
Weil die App mit Sounds aus verschiedenen Richtungen arbeitet, sind Kopfhörer notwendig, um sie vollständig zu nutzen. Besonders gut eignen sich Kopfhörer mit Bewegungserkennung. Damit ist es möglich, durch das Drehen des Kopfes zu hören, in welche Richtung man laufen muss. Per Geräusch wird man auf seiner Route von Punkt zu Punkt geführt. Wenn man die Richtung verliert, ändert sich der Klang, sodass man schnell merkt, ob man noch auf der richtigen Spur ist. Nebenbei wird die Umgebung in Geräuschen dargestellt: Kreuzungen, interessante Punkte oder Straßennamen, Treppen und Bushaltestellen. Was man davon hören will, lässt sich einstellen.
VoiceVista gibt es nur für das iPhone. Die kostenlose App ist gut für alle, die spannende neue Entwicklungen auf dem Navi-Markt live miterleben wollen.
Dem Klang folgen mit WaveOut
Mit Klängen aus verschiedenen Richtungen arbeitet auch WaveOut. Entwickler Hugo Furtado aus Österreich ist eigentlich Spezialist für Augmented Reality-Anwendungen im Medizinbereich, und hatte vor einigen Jahren die Idee, das Konzept virtueller Räume auf Akustik zu übertragen. Es gibt keine Anweisungen wie „in 30 Metern links abbiegen“. Stattdessen hört man einen Klang und folgt der Richtung, aus der er kommt. Das hat durchaus Vorteile gegenüber üblichen Navis. Man kann zum Beispiel keine Ansagen verpassen und wird nicht mit Hinweisen „zugetextet“. Außerdem, wer weiß schon genau, wann 30 Meter vorbei sind?
WaveOut hat ein sehr aufgeräumtes Design. Auf die Frage, wo es hingehen soll, findet die Suchmaske alles von Straßennamen, Adressen bis zu Restaurants in der Nähe. Auch WaveOut kann Orte in der näheren Umgebung in 3D-Audio ansagen, doch leider kann nicht ausgewählt werden, was angesagt wird.
Positiv ist, dass auch an sehbehinderte Menschen gedacht wurde. Für sie gibt es Karten mit Hochkontrastmodus.
Auch WaveOut funktioniert am besten mit Kopfhörern mit Bewegungserfassung. Ohne sie muss das Handy vor sich gehalten werden, um die gewünschte Richtung des Weges zu finden.
WaveOut gibt es für iPhone und Android. Eine kostenfreie Option für Menschen, die sich nicht mit allzu vielen Einstellungen herumplagen wollen.
Unterwegs mit Lazarillo - der Allzweck-Navigation
Als die App BlindSquare erschien, war das schon ein wenig revolutionär. Man bekam angesagt, was sich in der Umgebung befindet, und konnte per Suche zu Orten der Wahl navigieren. „Das ist ein bisschen wie Sehen“, hieß es gerne unter blinden Nutzern und Nutzerinnen. Mit etwa 45 Euro jedoch nicht gerade günstig.
Lazarillo ist kostenlos und tut in etwa dasselbe. Es kann nach Orten in der Umgebung gesucht werden, es gibt gute Filtermöglichkeiten, zum Beispiel alle Bushaltestellen oder Apotheken. Zu jedem Ort gibt es Zusatzinformationen wie Website und Telefonnummer. Auch kann der eigene Standort jederzeit gespeichert werden, um ihn später wiederzufinden. Diese Funktion existiert bei allen hier vorgestellten Programmen.
3D-Audio kann Lazarillo noch nicht. Die Ansagen verwenden herkömmliche Richtungsangaben wie „links vor dir“.
Lazarillo gibt es für iPhone und Android, und es ist meine Empfehlung für alle, die nicht die ganze Zeit mit Kopfhörern herumlaufen wollen.
Goodmaps Outdoors - eine fast gute App
Goodmaps Outdoors macht sehr viel richtig. Das Interface ist übersichtlich gestaltet und um eine Route zu starten, braucht es nur wenige Klicks. Auch die Hinweise auf der Route sind für blinde Menschen optimiert. Neben den üblichen Navigationsanweisungen ertönen regelmäßig Hinweise, auf welcher Straße man sich befindet. Kurz bevor sich die Richtung des Weges ändert, gibt es ein unaufdringliches akustisches Signal. Die Einstellungen sind vielfältig. Ansagen lassen sich ändern und auch das optische Erscheinungsbild ist variabel, eine Funktion, die für sehbehinderte Nutzende wichtig sein kann.
Seit letztem Jahr hat auch Goodmaps Outdoors Ansagen in 3D-Audio eingeführt. Und hier gibt es derzeit ein großes Problem. Die Ansagen, also Orte in der Umgebung, werden von einer englischsprachigen Stimme gesprochen. Was dabei herauskommt ist wohl am besten mit „Kauderwelsch“ zu bezeichnen. Die Ansagen lassen sich nicht abschalten, auch die Stimme kann nicht geändert werden.
Das macht eine eigentlich sehr gute App derzeit fast unbrauchbar. Zu hoffen bleibt, dass das Problem durch ein Update behoben wird.
Goodmaps Outdoors gibt es für iPhone und Android und eine Empfehlung gibt es nach dem nächsten Update.
Zuletzt Geschmackssache - welches Navi ist das beste?
Jede hier vorgestellte App hat Vor- und Nachteile. Die Menüführung ist mal kompliziert, mal einfach. Nicht alle Übersetzungen der Texte auf dem Bildschirm sind korrekt. Dem einen spricht eine App zu viel, dem anderen zu wenig, und die Nutzung von Kopfhörern ist ebenfalls Geschmackssache. Navigieren tun sie alle und was sie alle nach wie vor nicht können, ist ansagen, auf welcher Straßenseite man laufen soll.Da hilft nur ausprobieren.